Weltenwanderer ScrumMaster

Gehört ein ScrumMaster zu seinem Team? Ist er nicht vielmer so etwas wie der verlängerte Arm des Managements? Was soll er tun, wenn Unternehmens- und Teamziele in Konflikt geraten?
Guamán Poma de Ayala lebte im Peru des 16. Jahrhunderts. Er kam aus einer adligen Familie im Hochland von Ayacucho, seine Muttersprache war Quechua. Die Sprache der Eroberer – Spanisch – eigenete er sich in Kindheit und Jugend an. Fortan begleitete er die spanischen Priester auf ihren Christianisierungszügen durch das Land und arbeitete als Übersetzer zwischen beiden Welten. Seine Eindrücke verarbeitete Poma de Ayala in einer grandiosen Chronik mit hunderten ganzseitigen Federzeichnungen. Darin verteidigte er die einheimische Bevölkerung und prangerte die ungerechte Behandlung durch die Kolonialmacht an. Gegen Ende seines Lebens – das monumentale Werk war nun fertig – schickte Poma de Ayala die Chronik zum König Phillip III. Dort ignorierte man sie.
Die Chronik wurde erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt und an die Öffentlichkeit gebracht. Das Werk gilt heute als eines der wichtigsten historischen und ethnologischen Überlieferungen aus dem alten Inka-Reich. Darüber hinaus hat es einen festen Platz in der populären Imagination gewonnen:  Der comicartige Stil seiner Zeichnungen wird gerne imitiert, um auf aktuelle Missstände in der peruanischen Gesellschaft hinzuweisen.
Guamán Poma ist ein Symbol für das, was ein guter ScrumMaster können muss: Zwischen Welten wandern. Ich habe selbst schon am eigenen Leib erlebt, wie dramatisch die Sichtweisen zwischen Unternehmensführung und Teams aufeinanderprallen können. Emotionen kochen hoch, Diskussionen ufern aus, man dreht sich im Kreis der Schuldzuweisungen und will zeitweise schon beinahe aufgeben. Gottlob wird nicht jedes Unternehmen nach dem Vorbild spanischer Kolonialherrschaft geführt. Und trotzdem sind Konflikte zwischen Individuum und Organisation überall vorhanden. Mehr noch: Sie sind unvermeidbar. Meine Ziele, meine Vorstellungen und Wünsche sind nicht unbedingt die des Unternehmens. Meine Freiheit wird irgendwann mit den Zwängen der Organisation kollidieren.
In hierarchischen Organisationen wird der Konflikt durch Verbote gelöst. Agile Unternehmen versuchen dagegen, die Freiheit ihrer Mitglieder zur treibenden Kraft zu machen. Das führt aber zunächst zu einer Zuspitzung des Konfliktes, denn die unterschiedlichen Vorstellungen werden dadurch erst recht sichtbar. Wer keine Retrospektive macht, kann die Konflikte ja einfach tot schweigen.
Und genau hier setzt die eigentliche Arbeit des ScrumMasters an: Er soll weder für das Team noch für das Management Partei ergreifen. Seine Aufgabe ist es, die Kommunikationskanäle im Unternehmen frei zu halten. Dort, wo Menschen Kommunikation aufgegeben haben, weil sie enttäuscht, verbittert, mutlos, verängstigt oder wütend sind – dort muss der ScrumMaster seine Bürste auspacken und anfangen zu schrubben. Er muss dafür sorgen, dass Gespräche geführt, Missverständnisse aus dem Weg geräumt werden. Und dass so klar kommuniziert wird, dass am Ende sich keiner dafür entschuldigen muss, es immer noch nicht verstanden zu haben.
Dort, wo Selbstorganisation gefährdet ist, wo Kreativität der Nährboden entzogen wird, stellt er sich vor sein Team und verteidigt es. Er fängt es ein, wenn es sich zu verlieren droht, und spornt es zu Höchstleistungen an.
Ein guter ScrumMaster unterstellt jedem, mit guten Absichten gehandelt und alles in seiner Kraft liegende getan zu haben, um das Unternehmen weiter zu entwicklen. Indem er sich permanent und exklusiv darum kümmert, die natürliche Entfremdung des Einzelnen vom Unternehmen zu überwinden, setzt er den Grundstein, um ein agiles Unternehmen führbar zu machen: Die Erkenntnis, dass die individuelle Freiheit in der Organisation realisiert werden kann.

Geschrieben von

bgloger-redakteur bgloger-redakteur

TEILE DIESEN BEITRAG

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.