Der Tag an dem das Wort verblasste

Wir erleben es täglich, überall in zu vielen Organisationen: Hübsche Worte, wieder eine Brandrede über Beteiligung, über “Es wird besser werden, wir öffnen uns, wir brauchen euch, wir möchten euch beteiligen” – oftmals in einem klassischen Unternehmen, das auf agile Werte trifft! Was zeichnet solche Reden aus? Viel Emotion, viel guter Inhalt – nur auch zu viel schlechte Erfahrung der Zuhörer, dass Worte nur ein blasser Widerhall von Traumbildern sind, die nicht gehalten werden. Alles bleibt wie es war, warum solltest Du Redner Dich jetzt ändern, warum wir als Organisation, wenn Du wie wir vorher das Gegenteil gelebt haben?
Ein tolles Problem, oder? Nur zu gerne möchten wir dem Gesagtem folgen, danach greifen und doch schrecken wir zurück, wie vor einem zu heißen Kochtopf. Unser Zögern und Zaudern lässt uns innehalten. Die zentralen Fragen sind hier meist:

  • Warum glaubt trotz gutem Inhalt keiner an das Gesagte?
  • Warum sind die Worte nicht mehr als ein Windhauch, der nicht einmal an den Fensterläden der Organisationen zerrt?
  • Warum verwehen Worte und Emotionen so schnell, dass nur ein fader Hall, wie langsam leiser werdende Schritte in einer großen Halle, zurückbleibt?
  • Warum fällt es uns so schwer, uns auf das Gesagte einzulassen und warum reden wir stattdessen verdrossen von der Vergangenheit?

Die Antworten sind sicher nicht einfach zu geben, allerdings lässt sich viel auf die Integrität der Protagonisten zurückführen. Der Neurobiologe Prof. Dr. Gerald Hüther spricht in einem Interview mit dem Onlinemagazin derStandard.at vor einiger Zeit über diese Integrität und deren zusammenhängenden Strukturen im Gehirn. Er spricht von unserer inneren Haltung und davon, dass wir Erfahrungen benötigen, die unsere innere Haltung verändern: “[…] diese innere Haltung eines Menschen erwächst aus dessen Erfahrungen […]“. Nun fordern wir alle Integrität und misstrauen neuen und schönen Worten. Wir fordern: “Lebe es vor, und da Du es nicht bisher vorgelebt hast, glaub ich dir nicht!”
Ist es noch ein Problem, oder sind wir mittlerweile beim Debakel? Erkennen wir aufgrund mangelnden Vertrauens  die Ansprachen nicht als das an, was sie auch sein können: Ein echter Wunsch nach Veränderung. Spannend ist auch: Wir zweifeln selbst an der Veränderung, wenn wir diese Veränderung begrüßen. Wir stehen ihr so skeptisch gegenüber, dass wir sie ausbremsen. Was steht uns da im Weg, ist es nur die Erfahrung?
In einem etwas anderen Kontext, jedoch passend wie ich finde, sagt  Prof. Dr. Gerald Hüther, dass wir unser Gehirn ausbauen bzw. umbauen müssen, damit wir dabei sind: “[…]  Erfahrungen, die ein Mensch macht, sind in Form komplexer neuronaler Netzwerke im Frontalhirn gespeichert […]” in dem  “[…] unsere Überzeugungen, Glaubenssätze, inneren Einstellungen und schlussendlich die daraus hervorgehenden Haltungen verortet sind […]“. Weiter führt er an: “Wir können die dort entstandenen Haltungen nicht einfach ändern“. Als springenden Punkt nennt er, dass wir neue Erfahrung benötigen. Wir benötigen also die Taten, die aus den Worten folgen müssen, denn so sagt Prof. Dr. Gerald Hüther: “[…] aus Sicht der Hirnforschung gibt es nur einen erfolgversprechenden Weg: durch neue, günstigere Erfahrung.” Es hilft somit die bittere Pille des “Tuns”. Wir erzeugen Erfahrung und dadurch Glaubwürdigkeit in den Synapsen unseres Gehirns. Möchten wir führen, so muss das über das Erleben gehen.

Fazit

Nun ist das ganze Schreien nach Integrität, Vorleben, Leidenschaft groß. Kaum ein Thema ist so überspitzt und überbewertet wie Führung und Leadership – thematisiert, dramatisiert, traumatisiert. Jeder kocht mit und doch benötigen alle das gleiche Wasser. Für mich persönlich ist es richtig und wichtig, dass nur das “Tun” also das Vorleben hilft, die notwendigen Brücken zu bauen. Dass wir auch hier biologisch begrenzt sind, bestätigt mich darin,  dass es keine Abkürzungen gibt, die wir nehmen könnten. Wir können lediglich anfangen zu tun oder wie Prof. Dr. Gerald Hüther sagt: “Gute Führung ist ohne gute Selbstführung nicht denkbar. Führungskräfte sollten sich immer fragen, ob sie ihren Mitarbeitern wirklich das Gefühl der Wertschätzung und der Unterstützung geben, das Gefühl, etwas bewirken zu können, Anerkennung zu finden, dazuzugehören und gebraucht zu werden. Wer engagierte Mitarbeiter will, eine Truppe, auf die Verlass ist, die wirklich mitzieht, die nach draußen als Botschafter des Unternehmens wirkt, muss sich als Führender über sich selbst und die dargestellten Zusammenhänge Gedanken machen.” – kurz muss vorleben, was er möchte – mit Enthusiasmus, Leidenschaft und Beharrlichkeit.
Homepage von Prof. Dr. Gerald Hüther: http://www.gerald-huether.de/
Geschrieben von

bgloger-redakteur bgloger-redakteur

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2 Antworten zu “Der Tag an dem das Wort verblasste”

  1. Patrick Koglin sagt:

    Hallo Sven, ein sehr interessanter Beitrag. Zu den wissenschaftlichen Hintergründen gehört meiner Ansicht nach auch der simple Umstand das sehr schnell etwas gesagt ist aber noch lange nicht getan werden muss. Die Halbwertszeit von Gesagtem ist vielleicht sogar sehr kurz 🙂 Ebenfalls finde ich die natürlich menschliche Reaktion auf eine Veränderung interessant. Habe darüber auch mal kurz gebloggt, bei Interesse: http://blog.koglin.net/2012/08/veranderungen-konfliktlos-vorantreiben-change-managment/ gruß Patrick

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