Am Ende eines langen Tages

Kennt ihr ihn auch? Den ausgepowerten Product Owner, der vor lauter Terminen seinen Tag doppelt bis dreifach verplant hat? Oder den eifrigen ScrumMaster, der noch abends im leeren Teamraum sitzt und die Retro für den nächsten Tag akribisch vorbereitet? Manche sagen dann: “Das kann nicht gut sein.” Und zitieren das Agile Manifest, das von “nachhaltiger Entwicklung” und von einem “gleichmäßigen Tempo” erzählt, das “auf unbegrenzte Zeit” haltbar sein soll. Häufig geistert dann noch dieses eine Wort herum: Burnout.
Ja, der gute Product Owner hat eine ganze Menge zu tun: Er soll möglichst nah an seinem Team sein, mit dem Kunden im ständigen Kontakt stehen, und darüber hinaus die gestalterische Gewalt über das Produkt haben. Für manchen klassischen Projektleiter bedeutet das ein deutliches Mehr an Aufgaben und an Verantwortung. Auch der ScrumMaster ist, wenn er für sein Team da sein und Scrum in die Organisation tragen soll, gut ausgelastet.
Am Ende eines langen Tages stellt sich dann der Frust über die vielen Stunden ein, die man wieder mit Meetings und Abstimmungen verbracht hat. Spannenderweise beziehen sich die Klagen, die mir zu Ohren kommen, fast immer auf die Quantität. Dabei scheint es eine fest verankerte Vorstellung von “Normalität” zu geben: Der Achtstundentag gilt als das gesunde Maß aller Dinge. Neun Stunden werden noch toleriert, zehn gelten vielerorts schon als grenzwertig – und bei allem, was darüber liegt, erntet man besorgte Blicke und gilt als ernstzunehmender Burnout-Kandidat.
Tomas Chamorro-Premuzic hat im Harvard Business Review einen wunderbar provokanten Text geschrieben, der genau diese Korrelation zwischen Dauer und Last in Frage stellt. Seine Behauptung: Überarbeitung ist nur dann möglich, wenn du keinen Spaß bei der Arbeit hast (http://blogs.hbr.org/cs/2013/02/embrace_work-life_imbalan.html):
“Work is just like a relationship: Spending one week on a job you hate is as dreadful as spending a week with a person you don’t like. But when you find the right job, or the right person, no amount of time is enough. Do what you love and you will love what you do, which will also make you love working harder and longer. And if you don’t love what you are doing right now, you should try something else — it is never too late for a career change.”
Nehmen wir das Zitat ernst, sollten wir am Ende eines langen Tages Rückschau halten und für uns prüfen: Was habe ich heute alles gemacht? Was davon hat mir Spaß gemacht, was hat mich herausgefordert, wo ist die Zeit schnell vergangen? Und wo habe ich mich herumgequält, wo war es einfach nur mühsam und frustrierend? Am Ende eines ganztägigen Trainings bin ich manchmal so kaputt, dass ich kaum noch aufräumen und packen kann. Und trotzdem schwebe ich einen halben Zentimeter über dem Boden, halb euphorisiert und halb benommen von den vielen Eindrücken und Erlebnissen des Tages. Die Belastung eines solchen Tages ist enorm, aber sie macht mich nicht fertig. Es ist dann wie ein langer, langer Lauf, an dessen Ende man glücklich auf dem Rasen sitzt und keuchend grinst.
Wenn wir mit Scrum erreichen möchten, dass Menschen anders miteinander arbeiten und daran wachsen, dann können wir nicht einfach weitermachen. Wir müssen uns vielmehr überlegen, was von der bisherigen Arbeitsweise noch Sinn macht, und was komplett gestrichen werden muss.
Drei Vorschläge:

  • Meetings auf maximal dreißig Minuten reduzieren und dadurch auf das wirklich Wichtige begrenzen. Eine gut vorbereitete Agenda, ein Moderator (der nur moderiert) und strenge Einhaltung der Timebox.
  • In der Mitte des Meetings einen Energizer einbauen (ein kurzes Bewegungsspiel oder etwas mit Humor). So kommt einem die Zeit nur halb so lang vor, eine andere Hirnregion wird aktiviert, man kommt auf andere Gedanken und das Schwere wird etwas leichter.
  • Meetings komplett abschaffen. Stattdessen ein Daily zur Synchronisation und dann Open Spaces: Jeder, der ein Anliegen hat, wirbt im Daily dafür, nennt Zeit und Ort. Und jeder, der mit dabei sein möchte, gesellt sich dann einfach dazu. Klingt radikal, ist aber einfach nur eine Umkehrung der Verhältnisse: Wer zuvor über einen “zugemüllten” Terminkalender geklagt hat, der ihm noch den letzten Atemraum genommen hat, darf nun den Luxus eines unbeschriebenen Blatts genießen, das er selber gestalten darf, indem er sich die Themen für den Tag aussucht. Auch das ist mehr Verantwortung, aber es macht den Getriebenen wieder zum Handelnden. Und das kann dazu führen, dass der Job wieder Spaß macht und die Zeit wie im Flug vergeht.

Tomas Chamorro-Premuzic: Embrace Work-Life Imbalance. HBR Blog Network. http://blogs.hbr.org/cs/2013/02/embrace_work-life_imbalan.html
Principles behind the Agile Manifesto: http://agilemanifesto.org/principles.html

Geschrieben von

bgloger-redakteur bgloger-redakteur

TEILE DIESEN BEITRAG

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.