Von heiligen Herrschaften, Makaken und Erfolgsfaktoren einer Transition

Wer Scrum im Unternehmen implementieren und etablieren möchte, sollte sich bewusst sein, dass dies nicht per Knopfdruck geschieht. Scrum ist, anders als vielerorts verstanden, keine Methode oder besser nicht nur. Scrum ist ein Management-Framework. Natürlich geschieht ein erster Schritt zur Veränderung mit der Einführung einer Methode und damit einem Eingriff in die Prozesswelt der Menschen. Damit ist aber mitnichten eine Lösung gefunden. Im Gegenteil. Scrum schafft auf diese Weise Transparenz und Transparenz ist in vielen Firmen wenig willkommen, weil es einen offensichtlichen Angriff auf die von Wüthrich postulierten „ewigen Säulen: Heilige Herrschaften, Misstrauen und Rollenspiele“ (3) bedeutet. In meinem Artikel möchte ich die Säule der Heiligen Herrschaften näher beleuchten und meine persönliche Scrum-Sicht darin verweben.

Angriff auf die heiligen Herrschaften

Der Übergang zu Scrum beeinflusst nicht nur die Ablauf-, sondern auch die Aufbauorganisationen. Die Angst, seinen mühsam verdienten Platz und damit Status und damit gegebenenfalls (zumindest subjektiv) sein Gesicht zu verlieren und sich mit der Frage konfrontiert zu sehen, wer und/oder was man ab dem Zeitpunkt „Scrum“ (vielleicht nur noch) sein wird, führt zu Widerständen in allen Führungsebenen. Weg von der Entscheidungszentralisation (= wenige Wichtige entscheiden über die wichtigen Dinge), um stattdessen in Zukunft durch das Involvement Direktbetroffener bislang ungenutztes und ungeahntes Kreativpotential nutzbar zu machen, wird beim Übergang zu Scrum aus unterschiedlichen Motivationen heraus als „Zukunftsschock“ (Toffler, 1970, S. 4) interpretiert und mit entsprechender Ablehnung wahrgenommen. Die einen, also die, die bislang die wichtigen Entscheidungen treffen durften oder sollten, fürchten um ihren gefährdeten Status. Die anderen, die Direktbetroffenen, stehen plötzlich vor der Herausforderung, das tun zu sollen, was man ihnen bislang weitestgehend verwehrt hatte: nämlich eigenständig Entscheidungen treffen zu können.
 
Im Besonderen – aber das möchte ich betonen: nicht ausschließlich – für die erst genannte Gruppe, die (ehemaligen) Alleinentscheider, die in der Hierarchie weiter oben agieren, möchte ich eine Analogie aus der Tierwelt anführen, die das Beschriebene bildhaft illustriert:
 
Makaken, eine Pavianart, agieren miteinander in einer strikten hierarchischen Struktur. Die Rangreihenfolge bei den 50 bis 100 Mitglieder starken Gruppen orientiert sich am Alter oder der Abstammung. Die Gruppe wird von einem Alphamann geführt, dem wiederum eine Hand voll erwachsene Tiere folgen (erst die Männer, dann die Frauen), die unter sich jeweils viele Jungtiere vereinen. Es obliegt einzig und allein dem Alphamann, welche und wie lange Futterquellen genutzt werden. Fortpflanzung ist ausschließlich den Makaken vorbehalten, die im Rang ganz oben stehen. Auch äußerlich ist zu erkennen, welche hierarchische Stellung das jeweilige Tier in der Gruppe innehat. So erkennt man ein männliches Führungstier beispielsweise an seinem auffällig breiten Brustumfang und der Körpergröße. Das Alphatier verfügt als einziges über einen silberfarbenen Streifen auf dem Rücken.
 
Bei einem Experiment wurde die Paviangruppe mit Kartoffeln gefüttert. Der Spieltrieb eines Jungtieres hatte zur Folge, dass eine Kartoffel zufällig in ein Wasserbett rollte. Das Tier lernte auf diese Weise, Kartoffeln ohne Sand zu fressen. Von diesem Tag an wusch dieses Jungtier jede Kartoffel, bevor es sie verzehrte. Die gemachten Erfahrungen gab es euphorisch an die anderen Jungtiere und Geschwister weiter. Ein Jahr nach dem Zufallserlebnis „waschen auch ältere, allerdings ausschließlich der Verwandtschaftsgruppe der Pionierin angehörende Makaken ihre Kartoffeln. Drei Jahre später bringt erstmals ein Makakenweibchen seinem Jungen die neue Technik bei. Zehn Jahre später fressen die ranghöchsten Männchen, darunter der Silberrücken, ihre Kartoffeln nach wie vor voller Sand oder spucken diese mühsam aus.“ (3)
 
George Bernard Shaw bringt die Affenanalogie und die damit einhergehende Resistenz gegen Veränderungen treffend auf den Punkt, wenn er sagt: „Manche halten das für Erfahrung, was sie zwanzig Jahre lang falsch gemacht haben.“ Die Scrum-Kultur, geprägt von Aspekten wie der Selbstorganisation oder dem Pull-Prinzip, entlarvt moderne Organisationen von heute in ihrem Stillstand und ist bestrebt, sie von tradierten, verkrusteten Dynamiken wie Entscheidungszentralisation, Problemrückdelegation, entantwortlichten Mitarbeitern oder Informationspathologien zu befreien.
 
Ich möchte hinsichtlich der Makakengeschichte noch auf etwas hinweisen und eine für die Transferleistung in den agilen Alltag zu berücksichtigende Anmerkung machen: Resistenz gegen Veränderungen ist ein Phänomen, das keinesfalls nur dort zu Tage tritt, wo das Management sitzt. Veränderungswiderstand findet sich ebenso, nur anders geäußert, auf der Teamebene (z.B. Kopfmonopole, graue Eminenzen). Change betrifft daher alle, eine ganze Organisation und erfordert von jedem Rädchen im Gesamtwerk seinen Beitrag zur Wirksamkeit von Veränderung. Denn Worte allein sind ohne Taten Schall und Rauch. Sie sollen vor allem nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass ein Übergang zu Scrum, eine Transition eines Unternehmens, hochkomplex ist und mit vielen Hürden verbunden ist. Ich sehe es tagtäglich. Ein Übergang zu Scrum dauert und verlangt ein Höchstmaß an Sensibilität.

Fünf von ganz sicher viel mehr “Dingen”, die auf dem Weg zur erfolgreichen Transition mit Sensibilität zu beachten sind



Ding 1 – Scrum ist nicht gleich Scrum ist nicht gleich Scrum
Man sollte nicht Scrum machen und es den aktuellen Um- oder besser Missständen des Unternehmens anpassen. Vielmehr sollte das Unternehmen Scrum by the book machen. Ein bekannter Footballtrainer fragte seine Spieler zu Beginn einer Trainingseinheit, nachdem diese festgestellt hatten, dass ihr Coach ohne Spielgerät erschienen war, wie viele Spieler zu einem Footballteam gehören. Sie antworteten ihm, dass es elf sind. Der Coach fragte sie weiter, wie viele Spieler während des Spiels gleichzeitig den Ball haben. Sie antworteten ihm: einer. Der Trainer sah seine Spieler an und sagte: Und wir trainieren heute das, was all die Spieler tun, die nicht den Ball haben. Wer eine erfolgreiche Transition schaffen möchte, der muss sich mit den Basics beschäftigen und diese ausüben, sie lernen, sie beherrschen: erst die Pflicht, dann die Kür.
 
Ding 2 – dynamisches Zielbild
Das Zielbild einer Organisation ist emergent. Es wächst dynamisch, es verändert sich und es muss nicht am Tag 1 bereits in Stein gemeißelt sein und den Weg ausleuchten. Der Blick über den Tellerrand i. S. von „Wie machen es andere“ ist hierbei nicht nur erlaubt, sondern sogar gewünscht. Allerdings muss jedes Unternehmen seinen Weg finden. Nichts ist gefährlicher als Äpfel mit Birnen zu vergleichen und auf der Grundlage von Best Practises in die nächste Routinefalle zu treten. Wer einen Standard für das Beste hält, was er tun kann, der beendet jede Möglichkeit der kontinuierlichen Verbesserung (1).
 
Ding 3 – doing as a way of thinking
Doing as a way of thinking. Die Menschen in den Unternehmen haben aufgehört, eigene Entscheidungen zu treffen. Die Überzeugung von der Kraft des Commitments braucht Zeit und erste kleine Erfolge. Man plant und plant und vergisst dabei, zu tun. Fehler müssen tolerierbar sein und als Leistung verstanden werden: Wenn etwas nicht funktioniert, dann macht man etwas anderes.
 
Ding 4 – starke Rollen
Ein Übergang zu Scrum funktioniert nur dann, wenn die Scrum-Rollen nachhaltig gelebt und etabliert werden. Man braucht z.B. nicht die besten ScrumMaster, man braucht die richtigen. Richtig sind sie dann, wenn sie ausreichend Einfluss haben, mit einem starken Image versorgt sind, Entscheidungen treffen dürfen und als Person stark genug sind, Menschen ohne Autorität zu führen. Es gilt, die Scrum-Rollen zu stärken und ihnen den Rücken freizuhalten, um Prozesssicherheit zu erlangen und Erfolge erkennbar zu machen.
 
Ding 5 – zeig, was du tust und sprich davon
Tue Gutes und sprich darüber. Alles, was mit Scrum zu tun hat, muss transparent gemacht werden. Damit steht und fällt der Ruf von Scrum. Jeder im Unternehmen muss wissen, dass sich etwas bewegt, dass Veränderungen passieren. Kleinste Erfolge müssen veröffentlicht werden. Scrum muss überall sein. Es darf nicht nur die betreffen, die gerade direkt damit zu tun haben. Scrum betrifft jeden.
 
Literatur
(1) Cohn, M. (2010). Agile Softwareentwicklung. Mit Scrum zum Erfolg. Addison-Wesley.
(2) Toffler, A. (1970). Der Zukunftsschock. Scherz.
(3) Wüthrich, H. A., Winter, W. & Philipp A. F. (2001). Die Rückkehr des Hofnarren. Einladung zur Reflexion nicht nur für Manager. Gellius.

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bgloger-redakteur bgloger-redakteur

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