Tools sind toll, Papier ist besser

… zumindest in Fällen, wo

  • es schnell gehen muss,
  • man Spaß dabei haben soll,
  • mehrere Personen in den Prozess involiert sein sollen.

In vielen Projekten stoßen wir mit unserer “Abneigung” gegen Tools auf Gegenwehr, um nicht zu sagen auf blankes Entsetzen. (Zwinkern)
Man argumentiert, dass es doch viel praktischer sei, vor allem für das heiß geliebte Reporting. Auch eine detailliertere Beschreibung der Stories als auf den A5-Karten sei damit möglich. Dagegen zu argumentieren hilft in den meisten Fällen herzlich wenig. Solange der Vorteil von Papier nicht am eigenen Leib gespürt wird, kämpf man in diesem Fall gegen Windmühlen. Ich gebe ja zu, dass z.B. zur Revisionsicherheit ein Mindestmaß an elektronischer Dokumentation das Leben erleichtert. Dennoch sollte es nicht als Allheilmittel gesehen werden. Also warte ich geduldig auf eine Gelegenheit, um es am eigenen Leib erfahrbar zu machen. Das spannt zwar meinen Geduldsfaden oft bis zum Zerreißen an, aber wenn der Moment dann kommt, ist es meist umso wirkungsvoller. Lasst mich ein Beispiel erzählen.

Klick, klick, klick, klick, klick, klick …..

In einem Projekt sollten zwei übergreifende Backlogs zusammengeführt werden. Voraussetzung dafür war die Priorisierung des übergreifenden Backlogs. Passieren sollte das in einem Termin mit den Product Ownern, die an diesem übergreifenden Backlog arbeiten (ja, eigentlich sollte der Weg anders herum sein, hier war es jedoch so der Fall). Der ScrumMaster hatte sich gewappnet und bereits das übergreifende Backlog im Tool geöffnet. Nachdem die erste halbe Stunde mit einer Diskussion über andere Dinge zugebracht wurde (u.a. Zielklärung), blieb nur noch wenig Zeit für die eigentliche Zielsetzung. Wir begannen also mit dem Durchsehen des Backlogs im Tool. Nachdem wir nach den ersten 5 MInuten immer noch bei den ersten von ca. 30 Stories/Epics waren, witterte ich meine Chance. Die Teilnehmer waren schon leicht frustriert, weil das ständige Hin- und Herklicken des ScrumMasters, der ja als einziger das Tool bedienen konnte, sehr lange dauerte und erst nach dem dritten Anlauf das Ergebnis brachte, das der Product Owner gerade brauchte. Außerdem ließen sich die Stories/Epics nicht per Drag an Drop verschieben, sondern es bedurfte einer zwei- bzw. dreistelligen Priorisierungsnummer, damit nachträglich Stories dazwischengeschoben werden konnten. Gefühlter Zeitbedarf pro Story/Epic: 2-3 Minuten. Gefühlte notwendige Klicks: 20-30… (ja, wahrscheinlich übertreibe ich etwas (Lächeln))! Wir hatten aber direkt einen Anschlusstermin, um das übergreifende Backlog mit dem anderen übergreifende Backlog zu mergen.

Zack, zack!

Hier witterte ich meine Chance. Ich lief in ein Büro, griff mir die erstbesten Post-Its und ging wieder zurück, um xy vorzuschlagen, spontan vom Tool auf Papier zu wechseln. Nach kurzer Zeit hatten wir einen guten Arbeitsmodus – man könnte fast Flow sagen – erreicht. Der ScrumMaster schrieb die JIRA Nummern auf ein Post-it und ein Stichwort/Thema der jeweiligen Story dazu. Ich ließ die POs kurz diskutieren, wie die Story in Relation zu den anderen zu bewerten sei und legte das Post-it an die entsprechende Stelle auf dem Tisch vor ihnen. Diskussionen zu einem Item, die auszuufern drohten, unterband ich mit dem Hochhalten des nächsten Items auf dem Post-It oder reichte einem der Product Owner direkt das Post-it mit der einhergehenden Aufforderung, es entsprechend zu priorisieren. Währenddessen schrieben wir noch schnell das entsprechende Team auf das Post-it, da wir merkten, dass das nachträglich auch noch relevant sein würde. Viele der Stories konnten wir sehr schnell einordnen und die Product Owner waren sich einig. Manche der Items führten zu mehr Diskussionen und einer erneuten Umpriorisierung von mehreren anderen Items. Schnell gemacht, ohne Klicks. Schließlich hatten wir 8 Hände zum Helfen.Kleines Manko: Leider war irgendwann der Tisch zu Ende.
Schöner Effekt: Die am niedrigsten priorisierten Stories fielen vom Tisch runter und wir priorisierten auf dem Boden weiter!
Nach der ersten halben Stunde des Termins hatten noch alle es für unmöglich gehalten, das Backlog zu priorisieren. Am Ende schlossen wir den Termin 5 Minuten früher, weil wir schon fertig waren.
Mit unseren Zetteln ernteten wir im nächsten Termin erstmal nur ein müdes Lächeln. Auch hier war das elektronische Tool das Mittel der Wahl. Auch dass der ScrumMaster, eigentlich überzeugter Tool-Nutzer, beeindruckt war und lauthals verkündete, dass er gerade Zeuge geworden war, wie schnell und gut Papier funktionierte, half nicht. Erschwerend kam hinzu, dass wir die Post-Its auf das White Board kleben wollten und sie abfielen. Leider hatte ich einen Rest-Stapel Post-Its gegriffen, die zum Teil schonmal irgendwo geklebt hatten oder anderweitig ihre Haftkraft verloren hatten.
Als wir dann begannen, die Backlogs im Tool zu mergen, griff zu meinem Erstaunen sogar ein anderer ScrumMaster sofort nach den Post-Its und wir wiederholten den beschleunigten Prozess. Auch dieses Mal kamen wir mit der Timebox hin. Zusätzlich gelang es einem der Teilnehmer, gleichzeitig die auf Papier priorisierten Items in das Tool einzupflegen, ohne dass alle auf ihn warten mussten oder von der Geschwindigkeit des Tools abhängig waren. Auch hier hielten wir die Timebox und waren wesentlich schneller als mit 5 Personen direkt im Tool.
Kein Grund euphorisch zu werden, ich weiß … Aber die nächste Gelegenheit kommt bestimmt!
 

Geschrieben von

bgloger-redakteur bgloger-redakteur

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2 Antworten zu “Tools sind toll, Papier ist besser”

  1. Jan Ehrhardt sagt:

    Es ist ein klassisches Problem.
    Elektronische Tools erfordern oft, dass Menschen ihre Arbeits- und Denkweise an das Tool anpassen müssen. Der Mensch wird zum verlängerten Arm des Tools. Für Prozesse gilt dasselbe, auch sie verlangen oft die Anpassung des Menschen an den Prozess. Daher passen beide auch so gut zusammen.
    Besser ist es natürlich wenn die Menschen einfach ihre Arbeit machen können und sich das dafür beste Tool wählen. Schön wenn Papier dabei als einfachere und flexiblere Lösung gewinnt.

  2. Florian Straub sagt:

    Dass Papier eine tolle Sache ist, steht für mich außer Frage. Im gestrigen Sprint-Planning mussten wir die gezogenen Backlog-Items aus dem Excel-Backlog in unser Sprint-Tool kopieren. Auch wenn der Workflow des Tools (ein Javascript-View auf Polarion) schon relativ optimiert ist, fühlte es sich für mich als ScrumMaster relativ zäh an.
    Allerdings konnten wir m.E. nicht auf Papier wechseln, da die Hälfte es Teams per Videokonferenz aus einem anderen Land am Planning teilnahm. Immerhin nahmen es alle mit Humor und die Timebox reichte dennoch 🙂
    Auch die Retro fühlte sich mit Kärtle und Pinnwand wesentlich flüssiger an, als mit Excel oder XMind. Ich spiele mit dem Gedanken, Padlet ( http://padlet.com/ ) eine Chance zu geben, da sich diese Online-Pinnwand gleichzeitig von mehreren bedienen lässt.
    Kennt jemand noch andere einfache Möglichkeiten für “Online-Papier”?

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