Führen heißt, Fehler zu feiern oder was Manager von Pinguinen lernen können

Mal ehrlich: Habt ihr schon einmal einen Kollegen für eine tolle Idee, die sich am Ende nicht umsetzen ließ, vor dem ganzen Team hochleben lassen? Wann habt ihr das letzte Mal einen echten Misserfolg gefeiert? Wann habt ihr das letzte Mal einen gerissenen Sprint zum Anlass genommen, euch zu belohnen oder euch dafür zu applaudieren, dass die Wände wackeln? Ich nehme an, dass das eher selten vorkommt. Kein Grund zur Sorge. Ihr seid damit in guter Gesellschaft und gehört zu der überzeugten Mehrheit, dass man Misserfolge ebenso wenig feiert, wie man Fehler gutheißt. Fehler sind schlecht. Fehler macht man nicht und wenn, dann redet man sie klein oder schweigt sie tot. Wollt ihr wissen, was die kleine, aber bemerkenswerte Minderheit über Misserfolge und Fehler denkt?

Todesmutig in die Fluten

Der „First Penguin-Award“ ist eine besondere Auszeichnung. Wer diesen Preis in seinen Händen hält, hat sich mutig und risikoreich einem noch unberührten Themenfeld gewidmet und wurde für die Neugierde, den Enthusiasmus und sein herausragendes Durchhaltevermögen belohnt, obwohl (oder in diesem Fall vielmehr weil) er bei all seinen Bemühungen gescheitert ist: „…to the one or team that took the biggest gamble while not meeting its goals“ (Pausch, 2008). Paradox. Und wirkungsvoll. Warum First Penguin? Weil hungrige Pinguine bei ihrer Beutejagd gemeinsam am Ufer eines freien Gewässers sicher auf festem Grund ausharren, statt sich ins Wasser zu stürzen, um nach Nahrung zu fischen. Im Wasser lauern mögliche Gefahren (z.B. Fressfeinde) und warten nur auf den einen, den ersten Artgenossen, der sich trotzdem todesmutig ins Wasser stürzt. Sobald dieser Bann gebrochen ist, fühlen sich auch alle anderen Pinguine in der Lage, den potentiellen Gefahren zu trotzen und folgen dem Pionier, dem ersten Pinguin.
Randy Pausch*, Erfinder dieser Gratifikation und bekannt für seine unkonventionellen Wege und Ideen, wollte diese paradoxe Intervention bei seinen Studenten als eine Einladung verstanden wissen, Fehler auch oder vielmehr vor allem als Leistung anzuerkennen. Er wollte, dass sie auf diesem Wege ein in unserer Gesellschaft beharrlich akzeptiertes Muster unterbrechen und lernen: Fehler sind nichts Schlechtes! Sie sind das genaue Gegenteil. Es sind gerade die Misserfolge in unserem Tun, die von entscheidender Bedeutung sind und uns zu ungeahnten Leistungen zu bringen. Fehler verstärken in uns eine Fähigkeit, die mit keinem Erfolg zu erzielen ist: Erfahrung. Nach dem Verständnis von Pausch ist Erfahrung das, „was du bekommst, wenn du nicht bekommen hast, was du wolltest“ (a.a.O.). Was den First Penguin Award jedoch so außergewöhnlich macht, ist die offizielle Erlaubnis, angstfrei scheitern zu dürfen, den Misserfolg als integralen Bestandteil eines Lern-/ Entwicklungsprozesses willkommen zu heißen und sicher sein zu können, dass man für seine (Fehl-)Leistung Respekt und wertschätzende Anerkennung verdient hat.

Zutaten wirksamer Führung – Offenheit, Vertrauen und Wertschätzung

So ungewöhnlich dieses Reframing des Misserfolgs aussieht, Pausch bietet mit seiner Intervention Zutaten für ein Rezept wirksamer Führung. Die erste Zutat ist Offenheit. Jedes Ergebnis war möglich, selbst ein Scheitern galt von Anfang an als legitime Option. Offenheit bedarf jedoch, wenn sie zu einer Investition werden soll, einer zweiten Zutat: Vertrauen. Pausch vertraute darauf, dass seine Studenten ihren Job nach bestem Wissen und Gewissen erledigen würden. Er vertraute darauf, dass seine Offenheit nicht ausgenutzt und zu einem Bumerang wurde. Vertrauen zu schenken heißt also, in Vorleistung zu gehen und bedeutet für den Vertrauensgeber erstmal ein Risiko. Für den, dem dieser Vorschuss gewährt wird, ist es, was ich als dritte Zutat wirksamer Führung identifiziere. Es ist die Wertschätzung. Sie signalisiert dem Empfänger, dass er auf Augenhöhe wahrgenommen wird. Offenheit, Vertrauen und Wertschätzung, drei Zutaten, die Führung sichtbar und wirksam machen. Aus neuropsychologischer Sicht kann man vor Pauschs Idee nur den Hut ziehen. Die biochemische Ladung, die der First Penguin Award versprüht, kann kaum größer sein. Wer die Gewissheit (Certainty**) hat, dass jedes Ergebnis ein gutes Ergebnis sein wird, agiert durchwegs im Reward-Modus und kann uneingeschränkt auf seine Ressourcen zugreifen.

Vom Scheitern, besser Scheitern und Siegen

Dieser Tage gewann Stanislaw Wawrinka, Schweizer Tennisspieler, die Australian Open und damit sein erstes Grand Slam Turnier. Nach Roger Federer ist er damit der zweite männliche Schweizer, dem dies gelungen ist. Die wenigsten Fachleute hatten dem mittlerweile 28-Jährigen diesen Triumph noch zugetraut. Wawrinka, ein guter Tennisspieler, scheiterte stets, wenn auch oftmals knapp, an den Topspielern. Grund dafür waren nie seine spielerischen Fähigkeiten, sondern seine mentalen. Noch ein Jahr zuvor war Wawrinka nach einem denkwürdigen Match im Achtelfinale der Australian Open mehr als unglücklich ausgeschieden. Fast zwei Sätze lang dominierte er die damalige Nummer 1 Novak Djokovic nach Belieben und überrollte ihn mit seiner aggressiven Spielweise. Plötzlich schaltete sich jedoch (wie immer) Wawrinkas Kopf ein. Djokovoc dreht die Partie, gewann das Spiel und später auch das Turnier. Kurz nach dem verlorenen Match ließ sich der Schweizer tätowieren – seine ganz persönliche Kompensation der Niederlage. Ein Zitat des irischen Schriftstellers Samuel Beckett ziert seitdem den linken Unterarm: “Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.”
Ein Jahr später versuchte er es an gleicher Stelle wieder. Und er gewann auf eine beeindruckende Weise. Nach seinem Finalsieg gegen Rafael Nadal, der aktuellen Nummer 1 der Welt, durfte er sich nicht nur Australian Open Sieger 2014 nennen, sondern er wird als der erste Spieler in die Tennisgeschichte eingehen, der bei einem Grand Slam Turnier die Nummer 1, 2 und 3 besiegen konnte. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor war sein neuer Trainer, den er ebenfalls ein Jahr zuvor verpflichtet hatte. Magnus Norman, ehemaliger schwedischer Weltklassespieler, gelang es, die Kräfte Wawrinkas zu bündeln und seine Dämonen, die Angst, Fehler zu machen, die Angst zu scheitern, zu besiegen. Norman führte Wawrinka mit seinem Konzept auf die Siegerstraße, indem er ihn mental stärkte und ihm zeigte, dass Scheitern oftmals ein notwendiger Schritt auf dem Weg zum Triumph ist. Führung ist das, was man daraus macht: “We cannot change the cards that we are dealt, just how we play the hand“ (Randy Pausch, 2007).
*)  Randy Pausch, Jahrgang 1960, Professor an der Carnegie Mellon University (Pittsburgh), starb mit im Juli 2008 im Alter von nur 47 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Im September 2007 hielt er seine „Last Lecture“. Im Plenum saß Jeffrey Zaslow, Journalist des „Wall Street Journals“. Fasziniert von Pauschs Philosophien und Einstellungen veröffentlichte er die Rede des todkranken Professors und löste damit ein ungeahntes Medienecho aus. Bis heute haben mehr als sechs Millionen Menschen die Last Lecture von Randy Pausch auf YouTube gesehen.
**) siehe SCARF – Brain at work by David Rock
Literatur
Pausch, R. & Zaslow, J. (2008). Last Lecture. Hodder & Stoughton.
Rock, D. (2011). Brain at work. Campus
www.randypausch.com

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Eine Antwort zu “Führen heißt, Fehler zu feiern oder was Manager von Pinguinen lernen können”

  1. Petra Menne sagt:

    Die Kombination von sozialer Kompetenz und Mut ist auch meiner
    Meinung nach der Schlüssel für gute und erfolgreich (vor-)gelebte Führung – „einfach
    mutig vorausgehen“, wie die Pinguine eben – es also wirklich tun, in Bewegung
    kommen, und es nicht nur verbalisieren. Damit das gelingen kann, ist zwar vor
    allem eine Kommunikation auf Augenhöhe nötig, aber auch ein Wegkommen von einer
    unbeweglichen entweder-oder-Haltung, die im Gegenzug ein Zubewegen auf eine
    sowohl-als auch-Perspektive möglich macht. Um verschiedene Aspekte
    wertschätzend und gleichberechtigt nebeneinander stehen lassen zu können, im
    Sinne von „alles ist gleich-gültig“, braucht es Offenheit. Ein kommunikativer,
    empathischer und offener Austausch führt zum nötigen Verständnis und veränderten
    Sichtweisen. Nur wer offen ist für verschiedene Ansichten, ist auch offen für
    Veränderungen, kann sich inspirieren lassen und kommt ins Tun, kommt in
    Bewegung mit der Überlegung „was verliere ich, wenn ich gewinne, und was
    gewinne ich, wenn ich verliere“. Ich bin überzeugt davon, wer mutig und ohne
    Angst darauf vertraut, das jedes Ergebnis auch eine gewinnbringende Komponente
    beinhaltet, sich an zunächst nicht gewünschten Ergebnissen erfreut, deren Nutzen erkennt und entsprechend danach handelt,
    für den ist Entwicklung dann nicht mehr aufzuhalten. Mit einer starren entweder-oder-Haltung
    hingegen, die immer auch, ganz gleich wie man sich entscheidet, eine Ablehnung
    impliziert, tötet man jede Kreativität und setzt sich selbst samt Team „Schach
    matt“ für Veränderungen und Entwicklung.

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