Der reflektierte Umgang mit sich selbst: Führung und Grundhaltung

Wenn ich an meine langjährige Führungspraxis denke, nehme ich eine komplexen Prozess wahr, in dem vor allem eines immer wieder auf dem Prüfstand gestellt wurde: meine Haltung zur Profession Führung, als Führungskraft und zu den Menschen die ich führen durfte. Wie Menschen Führung – ob disziplinarisch oder lateral – ausüben, hängt in hohem Maß von ihrer (unbewussten und bewussten) Grundhaltung, von ihrer Rollenidentität ab. Das Führen von Menschen ist eindeutig und zuallererst ein Haltungsthema. Boris Gloger meint dazu in unserem gemeinsamen Buch “Selbstorganisation braucht Führung”: “Der erste entscheidende Schritt dazu ist: Vergessen wir alles, was wir aus Büchern, Vorträgen, Seminaren und von unseren eigenen Vorbildern über Führung zu wissen meinen! Damit meine ich auch dieses Buch! Es soll anregen, kann aber Ihr eigenes Denken und Ihre eigenen Schlussfolgerungen nicht ersetzen. Hinterfragen Sie einfach alles noch einmal, fangen Sie wieder von vorne an. Dieser Schritt ist entscheidend: Sie selbst sollten für sich ein neues Modell von Führung erfinden.“ Und damit eine ganz spezifische, individuelle Haltung entwickeln.
Immer wieder werde ich in Führungstrainings von skeptischen Teilnehmern gefragt, ob sie hier stromlinienförmig optimiert werden sollen. Die Antwort kann nur lauten: auf keinen Fall. Es geht nicht ums Klonen von standardisierten Führungsrobotern, sondern es geht um Anstöße für die individuelle (Selbst-) Reflexion, um die eigene Entscheidung, was in der Führungsrolle individuell “passt” und wie sie funktional und positiv interpretiert und ausgefüllt werden kann. Und es geht um das Andocken an die bisherigen subjektiven Erfahrungen zum Thema Führung. Denn jeder Mensch hat eine Vielzahl von Situationen er- und durchlebt, in denen er geführt wurde, in denen er Führung beobachtet und eingeordnet hat und die ihn heute mehr oder weniger stark prägen.
Die Rollenidentität als Führungskraft, und damit eine spezifische individuelle Grundhaltung, entwickelt sich durch komplexe Erfahrungen im Sinne von unbewussten und bewussten Lern- und Erfahrungsmustern. Unbewusst wirkende Überzeugungen und vorgelebte Werte aus Kindheit und Jugend, die wir von unseren Eltern oder späteren Vorbildern übernommen haben, beeinflussen uns und unsere Wertvorstellungen. Man muss lernen, sich dieser einflussreichen Überzeugungen und deren Auswirkungen auf das eigene Führungsverhalten bewusst zu werden, Position zu beziehen und bei Bedarf Veränderungen einzuleiten. Drei Positionen sind dabei wesentlich.

  • Die innere Haltung dem eigenen Ich gegenüber
    „Wofür stehe ich? Was macht mich als Mensch aus? Was motiviert mich? Lebe ich diese Dinge in einer wertschätzenden Haltung? Und wie bringe ich sie in Bezug zur Führungsrolle?“ Diese oder ähnliche Fragen stellen wir uns selten bewusst. Dabei sind sie absolut zentral. Sie sind die Grundlage unserer Handlungen und unserer Kommunikation. Und die Antworten auf diese Fragen zeigen sich in jeder Begegnung mit anderen Menschen, in jedem Gespräch. Und das selbst dann, wenn man nie über die eigene innere Haltung nachgedacht hat. Ein Blick auf die Meta-Ebene ist daher hilfreich: Es liegt viel Potenzial darin, sich mit dem eigenen inneren Antrieb, mit dem Kern dessen, was mich als Person ausmacht, zu beschäftigen. Um diese Entdeckungsreise zum eigenen Wesenskern anzutreten, ist es unerlässlich, in Ruhe nach innen zu hören und zu spüren und seine biographischen “Daten” Revue passieren zu lassen.
  • Die innere Haltung den Mitmenschen (Mitarbeitern) gegenüber
    Hier geht es um das grundsätzliche Menschenbild. Werden die Menschen als solche in ihrer primären Existenz eher positiv oder negativ gesehen, als vertrauenswürdig oder eher als unlauter, als fleißig oder eher faul, als Partner oder Konkurrenten usw. Führungskräfte, deren Hauptwerkzeug die Kommunikation ist, sollten sich daher im Bezug zu ihren Gegenübern auch situativ immer wieder – besonders aber in wichtigen Situationen – bewusst reflektieren.
  • Passung von Führungsrolle und Persönlichkeit 

    Passt die innere Haltung nicht zur Führungsverantwortung, dann entsteht ein Konflikt. Wer mit Worten für etwas argumentiert, das der eigenen inneren Haltung widerspricht, wird vom anderen intuitiv als unecht empfunden. Dieses inkongruente Verhalten sorgt für unbefriedigende Ergebnisse und lässt auch die Führungskraft auf Dauer unzufrieden zurück. Das Wort Persönlichkeit kommt von „personare“ und bedeutet „durchtönen“. Die Frage ist, wie gelingt es, die eigene Persönlichkeit stimmig in der Führungsrolle durchtönen zu lassen und gleichzeitig die Rollenklarheit zu behalten? Worüber muss ich intensiv nachdenken, was ist kongruent, wo muss ich mich anpassen oder entwickeln? Besonders laterale Führungskräfte brauchen oft Zeit und intensive Reflexion, um eine adäquate Position zu finden. Natürlich trifft die individuelle Interpretation der Führungsrolle immer auch auf die Führungskultur des Unternehmens und damit auf spezifische, mehr oder weniger transparente Erwartungen an die Führungshaltung von außen. Dies ist zu berücksichtigen. Unternehmen müssen daher grundsätzliche Anforderungen an die Führungshaltung definieren, die aber Raum für individuelle Gestaltung lassen.

Der erste Schritt allerdings ist es, sich über die tiefsten subjektiven Bezüge zur Führung klar zu werden. Finde ich Führung grundsätzlich notwendig, funktional und positiv? Oder habe ich meine Probleme mit dieser Form menschlicher Interaktion, vor allem Arbeitskontext? Lehne ich Führung eher ab und sehe sie sehr kritisch? Der Selbstreflexionsbogen Führung geht also nicht auf die konkreten Elemente der Führungshaltung ein, sondern soll helfen, die grundlegendsten Erfahrungen und Bezüge zur Führung transparenter und bewusster zu machen. Er fragt nach der elementaren Haltung und geht von der Prämisse aus: Nur wer gerne führt, führt wirklich gut!
Sollten Sie in der Skalenfrage das Kreuz bei 7 und mehr gemacht haben, sind Ihre Voraussetzungen für eine Führungsrolle sehr gut. Sie können einzelne Haltungselemente prüfen und den Fokus auf gut erlernbare Führungskompetenzen legen. Setzen Sie Ihr Kreuz bei 5 und darunter, empfiehlt es sich grundlegend, über Ihre Haltung zur Führung nachzudenken. Überlegen Sie, wo Blockierungen liegen könnten und was Sie bräuchten, um einen grundlegend positiveren Bezug zu entwickeln. Sprechen und reflektieren Sie mit Kollegen, Freunden oder einem kompetenten Coach. Und vielleicht gibt es ja auch Alternativen zu einer Führungsposition, um sich beruflich zu verwirklichen.

Geschrieben von

bgloger-redakteur bgloger-redakteur

TEILE DIESEN BEITRAG

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.