Etikettenschwindel oder was Führung ausmacht

Es ist immer wieder faszinierend zu beobachten, wie intensiv die Auseinandersetzung mit dem Thema Führung in Unternehmen seit vielen Jahrzehnten geführt wird. Mal sind Führung und Hierarchie die Buhmänner für Ineffektivität, Demotivation und das Elend in Unternehmen und Organisationen, mal sollten sie ganz beseitigt werden, mal spricht dann doch wieder viel dafür, dass es ohne Führung einfach nicht geht. Deutlich erkennbar gibt es die Tendenz, den Begriff Führung und damit seine Funktion durch freundliche Etiketten zu ersetzen. Da ist die Führungskraft mal der Coach, mal der Gastgeber, mal der Servant Leader etc. und ich bin sicher, es werden noch mehr fantasievolle Ersatzbegriffe dazukommen. Um mit Herbert Grönemeyer zu sprechen: „Was soll das?“

Auch der alte Fritz war ein Servant Leader

Zweifellos können solche Sprachbilder und Metaphern sinnvoll und nützlich sein. Sie differenzieren ein frederick-the-great-258986_1280Thema und beschreiben gut nachvollziehbar besondere Charakteristika eines Phänomens. Auf Führung bezogen sind es häufig Elemente, die aktuell als nicht ausreichend vorhanden oder zeitgeistig, aber als zwingend notwendig gesehen werden. So gibt z.B. ein Coach nichts vor, er begleitet und aktiviert Ressourcen. Er hat so gut wie keine Macht, sondern setzt auf Vertrauen und höchste Freiwilligkeit. Der Gastgeber seinerseits lädt ein und stellt Leckerli auf den Tisch (Motivation), anstatt zu bestimmen. Er macht Angebote und bietet guten Service. Der Servant Leader ist in erster Linie Diener, orientiert sich stark an den Bedürfnissen der Geführten, er ist demütig und zurückhaltend. Dieses Etikett lässt sich bis zu Friedrich II. von Preußen zurückverfolgen, der postulierte: „Der Herrscher ist der erste Diener des Staates.“ Gerade dieses Beispiel zeigt die Grenzen des Gedankens in Bezug auf Führung: Denn der alte Fritz konnte seine Armeen gleichzeitig sehr direktiv führen, seine Vorhaben – wenn auch aufgeklärt – absolutistisch durchsetzen und den Diener ganz weit hintanstellen.
Führung ist in erster Linie Führung und sollte Führung bleiben. Gerade in den komplexen Prozessen der Selbstorganisation eines Systems ist Führung in ihrer hierarchischen Funktion das „Herz“ und damit der ursprünglichste Sinn und Nutzen für die geführten Menschen. Dazu gehört z.B. die legitimierte Macht, die Notwendigkeit, Settings zu schaffen und auch nichtdemokratische Entscheidungen treffen zu können.
Ich plädiere dafür, Menschen in disziplinarischen oder lateralen Führungsfunktionen nicht dadurch zu schwächen, dass man die ursprünglichste Komponente von Führung klein macht, verniedlicht oder gar negiert. Nichts spricht allerdings dagegen, Elemente anderer Rollen und Funktionen zu übernehmen und so für Führung ein zeitgemäßes, flexibles und unterstützendes Werte-, Einstellungs-, und Handlungsspektrum anzubieten.
Wenn die Welt agiler wird, wenn neue Generationen von Mitarbeitern in den Arbeitsprozess eintauchen, braucht es das eindeutige Etikett „Führung“. Und es braucht Führungskräfte, die sich zum Führen legitimiert fühlen, wo es im Sinne von Selbstorganisation angesagt erscheint.
Genau deswegen heißt das Buch, das ich mit Boris Gloger veröffentlicht habe, nicht Selbstorganisation braucht Coaches, Gastgeber oder Servant Leader, sondern „Selbstorganisation braucht Führung“.

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4 Antworten zu “Etikettenschwindel oder was Führung ausmacht”

  1. Boeffi sagt:

    …immer wieder sehr, sehr positive Erfahrungen mache ich damit, Führung als freundschaftliche Begleitung eines Menschen zu verstehen und ihm ebenso freundschaftlich Vertrauen zu schenken. Ganz selbstverständlich.
    Ihm dabei die (System) Erfahrung eines Mentors anzubieten, damit er sich in einer ihm teils unbekannten Umgebung sicher und neugierig bewegen kann.
    Vor allem:
    dieses auch ehrlich zu leben. Unabdingbar.
    Es wird irgendwann zum eigenen Grundbedürfnis, einem Freund eine “behütete” Umgebung zu bieten, in dem er sich – beruflich als Erwachsener – sicher fühlen kann, sich entfalten kann, und Lust auf mehr verspürt. Immer mehr.
    Ein tolles Gefühl, wenn dann Vertrauen zurückgeschenkt wird. Unbeschreiblich …

    • Dieter Rösner sagt:

      Grundsätzliche Zustimmung, aber mir gefällt auch ein Satz des erfolgreichen Buchautors, Keynote speakers und Piloten Peter Brandl “Mangel an Autorität wird oft mit Kumpel-Art kompensiert”.

      • Boeffi sagt:

        > “Mangel an Autorität … kompensier[en]”
        Klingt mir (ein wenig) zu negativ!
        Ich kann “führen”, ohne Autorität haben zu müssen…
        Autorität kann sogar sehr hinderlich sein. Wenn transparent ist, wie die gemeinsame(!) Vision ist, welches die nächsten, gemeinsamen Ziele sind, lässt sich dies auch ohne Autorität, aber kooperativ, partnerschaftlich oder gar freundschaftlich viel besser, d.h. nachhaltiger, erreichen.

  2. Michael Pitra sagt:

    Zusatz zur vorigen Diskussion der Führung ohne Autorität: hängt ganz allein von den beteiligten Menschen ab – siehe auch die Theorie der situativen Führung (bspw. nach Hersey / Blanchard). Der Idealfall ist natürlich, die Autorität nicht ausspielen zu müssen, aber es gibt mit Sicherheit Situationen, in denen dies unabdingbar ist – auch wenn grundsätzlich ein gutes Auskommen mit den Mitarbeitern vorhanden ist. Die Bandbreite zwischen Direktive und partizipativem Führungsstil ist halt seeeeehr groß.

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