Scrum als Managementrahmen für bürgerschaftliches Engagement

Warum ist gerade Scrum für bürgerschaftliches Engagement geeignet? Dazu lohnt ein Blick darauf, was bürgerschaftliches Engagement überhaupt ist und unter welchen Rahmenbedingungen bürgerschaftliches Engagement entstehen bzw. gedeihen kann.
An den Anfang dieses Beitrags möchte ich eine kurze Geschichte stellen. Eine Geschichte über den Amtsleiter in einer Stadtverwaltung, der den Auftrag bekommen hat, das Thema Bürgerschaftliches Engagement voranzutreiben und eine Freiwilligenagentur aufzubauen. Nennen wir ihn Klaus.
Klaus freut sich auf seine neue Aufgabe. Eine Herausforderung, bei der er hofft, sein Steckenpferd Projektmanagement voll ausleben zu können. Und so startet er euphorisch durch. Innerhalb kürzester Zeit entsteht eine Projektskizze mit einer echten Projektorganisationsstruktur, einem Projektstrukturplan und einer ersten Meilensteinplanung. Parallel arbeitet er in einem Bürgerbeteiligungsprojekt mit, das ein erfahrener externer Moderator begleitet, und lässt sich – zusammen mit einem ehrenamtlichen „Pendant“ – zum Bürgermentorentrainer ausbilden. Nach einigen Monaten merkt er jedoch, dass er mit den klassischen Projektmethoden nicht weiterkommt. Immer wieder wird ihm von interessierten Bürgerinnen und Bürgern signalisiert, dass die Begrifflichkeiten eher erschrecken und sie nicht bereit sind, sich durch enge Vorgaben und Strukturen binden zu lassen. Klaus folgert daraus, dass der von ihm angestrebte Projektmanagementrahmen nicht mit den Bedürfnissen bürgerschaftlich engagierter Menschen vereinbar ist. Aber wie kann er die Projektarbeit in diesem Themenfeld professionalisieren, ohne die intrinsische Motivation bürgerschaftlich Engagierter durch zu viele Vorgaben und Beschränkungen zu gefährden? Der Gedanke lässt ihn nicht los und er beginnt zu recherchieren und sich umhören. Ein befreundeter Softwareentwickler bringt ihn auf die Idee: Scrum. Das könnte doch etwas sein. Selbstorganisierte Teams mit klar umrissenen Rollen, wenigen Regeln, enger Zusammenarbeit … er wird neugierig.

Bürgerschaftliches Engagement – eine kurze Einordnung

Bürgerschaftliches Engagement bezeichnet freiwilliges bzw. ehrenamtliches Engagement in einem breiten Spektrum. Vom klassischen Ehrenamt bis hin zu vergleichsweise kurzfristigen, auf konkrete Projekte bezogenem Engagement, bei dem die Motivlage eng mit Themen wie Verantwortung für andere, dem Lernen von Gemeinschaftsfähigkeit oder aktiv werden als Mitbürger verbunden ist. (Vergl. hierzu: Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags, 2002, S. 34) Bürgerschaftlich Engagierte sind primär intrinsisch motiviert. Für sie spielt die Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen Leben eine zentrale Rolle. Verschiedene Studien legen auch nahe, dass es eine hohe Korrelation zwischen Bildungsstand und Engagement gibt, d. h. bürgerschaftlich engagierte Menschen sind überdurchschnittlich hoch qualifiziert, verfügen über ein ausgeprägtes Fach- und Allgemeinwissen. Auch zeichnen sie sich durch eine hohe Wissbegier aus und bevorzugen selbstbestimmtes Arbeiten.
Die Selbstentfaltung, aber auch der soziale Kontakt, sind zentrale Motive für ihr Engagement. Sie entsprechen damit weitgehend dem Typus des sogenannten Wissensarbeiters. Bürgerschaftliches Engagement entfaltet sich daher insbesondere dann, wenn diese Menschen einen Rahmen zur Verfügung gestellt bekommen, der ihnen den Freiraum lässt, sich selbst zu entwickeln. Die Engagierten können innerhalb dieses Rahmens selbstbestimmt arbeiten, ihre Kenntnisse und ihr Wissen einbringen und weitgehend selbst entscheiden, in welchem Umfang sie sich einbringen möchten. Kurzfristige Verpflichtungen sind ebenso möglich, wie langfristiges Engagement – je nach Motivlage und persönlichen Möglichkeiten der Engagierten. Ein solcher Rahmen muss den Raum lassen, der nötig ist, damit die Engagierten selbst entscheiden, wohin die Reise gehen soll.

Die wesentlichen Merkmale von Scrum

Scrum ist ein Managementrahmen, der ursprünglich aus der Softwareentwicklung stammt und auf den Prinzipien des „Agilen Manifests der Softwareentwicklung“ basiert. Wesentliches Kennzeichen von Scrum ist das iterativ-inkrementelle Vorgehen in kurzen Planungszyklen, bei denen am Ende mithilfe der empirischen Überprüfung die nächste Iteration geplant wird. Scrum „tastet“ sich dabei Schritt für Schritt, Iteration für Iteration an das optimale Ergebnis heran. Im Vergleich zu anderen Projektstandards wie Prince 2.0 ist der Scrum Leitfaden ein „Leichtgewicht“, in dem der Rahmen auf das Wesentliche reduziert und von allen unnötigem Ballast befreit wird. Die klassischen Führungsrollen gibt es in Scrum nicht. Scrum-Teams sind hochgradig selbstorganisiert. Die Führung im Team ist auf drei Rollen verteilt, die unterschiedliche Schwerpunkte wahrnehmen. Der sogenannte Produkteigentümer (Product Owner) fokussiert auf das WAS aus Sicht des Ergebnisses, das angestrebt wird. Der Scrum Master achtet auf die Produktivität des Gesamtteams und seiner Mitglieder, während das Entwicklerteam sich auf das WIE und die Qualität des Ergebnisses fokussiert ist. Das Prinzip der Freiwilligkeit ist fester Bestandteil der Scrum-Prinzipien. Dies befördert die enge Zusammenarbeit im Team und zwischen den drei verschiedenen Rollen. Boris Gloger erweitert das Rollenmodell zusätzlich um den Auftraggeber/Kunden (Geldgeber), das Management (Rahmenbedingungen) und den Anwender/Nutzer.
Daher ist der Scrum-Prozess insbesondere auf eine gute Kommunikation ausgerichtet, die sich um fünf Ereignisse bildet:

  • Sprint = Bezeichnung für die Iteration, max. 4 Wochen
  • Sprint Planning = Planung zu Beginn der Iteration
  • Daily Scrum = tägliche Synchronisation des Teams
  • Sprint Review = Bewertung des Entwicklungsergebnisses gemeinsam mit Anspruchsberechtigten am Ende jeder Iteration
  • Sprint Retrospektive = Betrachtung der Zusammenarbeit und der Arbeitsprozesse im Team am Ende jeder Iteration

Der Scrum-Leitfaden schlägt drei Artefakte für die Prozesssteuerung vor:

  • Product Backlog = Liste der Aufgabenblöcke
  • Sprint Backlog = Liste der Aufgabenblöcke, die Sprint abgearbeitet werden
  • Product Increment = Aufgabenblock, der am Ende des Sprints fertiggestellt sein soll

Wichtig: Scrum-Teams arbeiten nicht im stillen Kämmerlein, sondern binden Anspruchsberechtigte (Management, Auftraggeber, Anwender) in jedem Sprint ein. Unter anderem beim Sprint Review, bei dem Anspruchsberechtigte, insbesondere die Anwender ausdrücklich gebeten werden, Feedback zu geben. Durch die maximale Länge einer Iteration erhalten so die Scrum-Teams frühe Rückmeldung, die unmittelbar in die Planung und Umsetzung der nächsten Iteration einfließen kann.

Für welche bürgerschaftlichen Projekte ist Scrum geeignet?

Scrum spielt seine Stärken in ergebnisoffenen „Entwicklungsprojekten“ aus, bei denen zu Beginn nur eine grobe Vision dessen besteht, was erreicht werden soll. Gerade bei komplexen Fragestellungen, bei denen mit vielen Unbekannten zu rechnen ist, bietet der Scrum-Rahmen die Möglichkeit, risikoarm Lösungen zu erarbeiten. Daher bietet sich Scrum bei umfangreicheren, bürgerschaftlichen Projekten an, bei denen oft nur eine grobe Vorstellung dessen vorhanden ist, was am Ende des Prozesses entstehen soll. Der Managementrahmen von Scrum wird dabei den besonderen Bedürfnissen, mit denen bürgerschaftlich Engagierte an Projekte herangehen, besonders gerecht. Hierarchien sind flach, die Möglichkeit zur Selbstentfaltung ist gegeben. Die Mitglieder des Scrum-Teams können erheblichen Einfluss auf die Entwicklung nehmen. Und selbst Interessierte, die nicht Teil des Scrum-Teams sind, haben die Möglichkeit, im Projekt zu partizipieren statt nur „Objekte“ des Projekts zu sein. Durch den Fokus auf gute Kommunikation wird der soziale Faktor des bürgerschaftlichen Engagements ebenso antizipiert. Die meisten bürgerschaftlichen Projekte entstehen im kommunalen Umfeld. Häufig tritt daher die öffentliche Hand in Form der Gemeinde- bzw. Stadtverwaltung als Finanzier auftritt, und hier bietet es sich an, diese als Auftraggeber bzw. Kunden des Projekts zu definieren. Die Herausforderung für den Produkteigentümer besteht dann darin, sowohl die Sicht der Verwaltung als auch der Kommunalpolitik im Auge zu behalten.

Wie könnte ein scrumgeführtes bürgerschaftliches Projekt aussehen – ein fiktives Beispiel

Anhand eines Beispiels, mit realen Bezüge zu verschiedenen Projekten aus der kommunalen Praxis, lässt sich im Folgenden aufzeigen, wie ein bürgerschaftliches Projekt mit Scrum aussehen könnte. Es handelt sich um ein Projekt, das aus der Bürgerschaft initiiert und von der Stadtverwaltung logistisch und finanziell unterstützt wird. Die Idee ist, einen Ort der Begegnung für alle Generationen zu schaffen. In einer ersten Vision ist von einer Begegnungsstätte die Rede, die unter anderem ein bestehendes Jugendhaus einbinden soll. Der Gemeinderat übernimmt die Rolle des Auftraggebers, die Rolle des Scrum Masters wird einem moderationserfahrenen Mitarbeiter des Sachgebiets Bürgerschaftliches Engagement übertragen. Die Rolle des Managements wird durch die Stadtverwaltung ausgefüllt. In die Rolle des Produkteigentümers schlüpft der Initiator des Projekts aus der Bürgerschaft. Dem Entwicklerteam gehören Vertreter des Jugendhausträgervereins, des Seniorenrats, der örtlichen Vereine und der örtlichen Bürgerstiftung an. Das Entwicklerteam umfasst insgesamt fünf Personen.
Nach anfänglichen Anlaufschwierigkeiten während der ersten drei Sprints, die in erster Linie der fehlenden Erfahrung mit Scrum geschuldet sind, hat sich das Scrum-Team etabliert. Alle vier Wochen findet zum Sprintende eine öffentliche Präsentation der Sprintergebnisse im kleinen Sitzungssaal des Rathauses statt, zu der die Bürgerschaft herzlich eingeladen ist. Zwar nutzt nur eine Handvoll Einwohner die Möglichkeit, aber seitens des Gemeinderats ist aus jeder Fraktion jeweils mindestens ein Vertreter beim Review anwesend. Auch der Bürgermeister nimmt an den Review-Terminen teil. Regelmäßig wird über die Ergebnisse im örtlichen Amtsblatt sowie auf der städtischen Website berichtet.
Die anfängliche Skepsis städtischer Mitarbeiter und einiger Bürger ist zwischenzeitlich einer anerkennenden Wahrnehmung gewichen. Befürchtungen, dass im Zuge des Projekts utopische Luftschlösser entwickelt würden, sind nicht eingetreten. Durch die enge Zusammenarbeit der Beteiligten bildet sich zunehmend ein besseres Verständnis der Rahmenbedingungen und Bedürfnisse heraus, das bis weit in die Bürgerschaft und die Verwaltung ausstrahlt. Neun Monate später liegt ein Konzept mit Finanzierungsplanung zum Umbau eines bestehenden städtischen Gebäudes vor, das im Zuge der Haushaltsberatungen ohne weitere Diskussion durch den Gemeinderat beschlossen wird. Vereine und Institutionen haben sich bereit erklärt, die Umsetzung ebenso – in Form von Arbeitsleistungen – zu unterstützen und die Kosten für die bauliche Maßnahme zu reduzieren.

Fazit

Auch wenn im ersten Moment die von der Softwareentwicklung geprägten Begriffe irritieren mögen, passt der Rahmen von Scrum bestens zum bürgerschaftlichen Engagement. Dahinter verbergen sich nämlich Prinzipien und Haltungen, die jenen des bürgerschaftlichen Engagements nicht unähnlich sind und dieses daher im Sinne einer Professionalisierung des Arbeitsrahmens unterstützen, ohne den Charakter des bürgerschaftlichen Engagements zu gefährden.

Geschrieben von

Thomas Michl Thomas Michl

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