Feedback: Der feine Grat zwischen Offenheit und Überforderung

Seit kurzem frage ich mich, ob und welche Auswirkungen Feedback – vor allem auf zwischenmenschlicher Ebene – auf agile Teams hat. Ich möchte hier einige Gedanken teilen, die durch intensives Beobachten aufgekommen sind.

Beobachtung 1: Offenheit kann angreifbar machen

Ein Wert in der agilen Zusammenarbeit ist Offenheit. Das heißt, dass sich jedes Handeln an der Offenheit ausrichten soll. Es ist wie ein Kompass, der in Richtung Offenheit zeigt. Man ist nicht voreingenommen gegenüber neuem Input und macht Informationen transparent. Wir wissen aber auch: Je mehr Informationen ein Mensch über sich oder andere preisgibt, desto angreifbarer macht er sich. Ein Beispiel: Kollege A erzählt seinem Kollegen B, dass er derzeit demotiviert ist und ungern zur Arbeit geht, da er in seiner Beziehung unglücklich ist. Bisher hatten die Kolleginnen und Kollegen diese Demotivation gar nicht bemerkt. Die Offenheit und Transparenz über diese Information könnte gegen ihn verwendet werden, wenn Kollege A von Kollege B zum Beispiel nicht für einen wichtigen neugewonnenen Auftrag nominiert wird, da B glaubt, aufgrund der ihm zugespielten Information über die Performance von A urteilen zu können. Dieser Gedanke wäre ihm wahrscheinlich nicht gekommen, wären diese Informationen nicht offen kommuniziert worden.

Beobachtung 2: Feedback ist ein zweischneidiges Schwert

Ein Prinzip in der agilen Zusammenarbeit ist „kontinuierliche Verbesserung“. Das Handeln nach diesem Prinzip setzt eine vitale Feedbackkultur voraus. Teams können sich nicht verbessern, wenn sie nicht über das reflektieren, was gut und nicht so gut gelaufen ist,
und wenn sie es nicht offen aussprechen dürfen.

Je mehr reflektierte Menschen es in einem agilen Team gibt, desto komplexer wird die Praxis und Handhabung des Feedbackgebens. Was verstehe ich unter reflektierten Menschen?

Für mich sind reflektierte Menschen solche, die immer wieder die Informationen hinterfragen, die über ihre fünf Sinne in ihre Synapsen gelangen. Sie fragen sich: Was ist da gerade passiert? Was bedeutet diese Information jetzt für mich? Was steht zwischen den Zeilen? Welches Verhalten hat diese Information bei mir oder bei anderen provoziert? Wie bewerte ich diese Information? Geht es mir jetzt besser oder schlechter? Was könnte die versteckte Message des Senders sein? Was sagt meine innere Führung zu dieser Information?

Der reflektierte Mensch zerlegt Informationen in verarbeitbare Teile und formt darauf basierend eine erste Meinung.

Feedback, vor allem auf zwischenmenschlicher Ebene, wird ebenso dem eben beschriebenen Check untergezogen. Dementsprechend handelt es sich bei Feedback nicht nur um Worte, die in den Raum gesendet und pragmatisch aufgenommen werden. Feedback verursacht energetische Schwingungen im Raum, die einen langen Prozess der Verarbeitung durchlaufen, bevor sie angenommen werden.
Daher entsteht die Möglichkeit, dass die Informationen des Senders beim Empfänger gar nicht mehr in der Originalform ankommen, da der Empfänger ganz viel Interpretationsarbeit geleistet hat und die Ursprungsinformation mit seinen Auslegungen geschmückt hat.

Also warum ein zweischneidiges Schwert? Durch Feedback wird uns eine Fremdwahrnehmung dessen zugetragen, was für eine Verbesserung unabdingbar ist. Zu viel Feedback kann durch das viele Reflektieren jedoch zur mentalen Ermüdung führen.

Was passiert bei Feedback-Overload?

Wenn mehr als genug Feedback gegeben wird, kann irgendwann jedes Wort zu viel sein. Dieser Overload mündet in „overthinking“ – die Aussagen werden überinterpretiert. Wir hören und lesen zwischen den Zeilen und kreieren Szenarien in unseren Köpfen, die so in der Realität möglicherweise gar nicht existieren.

Denken kostet viel Energie. Sensible Menschen denken viel, sie nehmen sich aber auch sehr viel zu schnell zu Herzen, und daher kann der offene Umgang mit Informationen und Feedback zur mentalen Ermüdung führen. Denn die Aktivität des Feedbacks endet meist nicht mit dem bloßen Feedback: Wir nehmen die ausgesprochenen Worte und die Körpersprache des Senders mit ins Auto, in die Bahn, nach Hause, zum Partner und reflektieren das Thema tot.

Was ist mein Vorschlag?

Agile Teams sollten zuerst eine Gemeinschaft aufbauen. Eine vertraute Gemeinschaft, sodass Feedback auf zwischenmenschlicher Ebene wohlwollend aufgefasst wird und die Interpretationsschleifen minimiert werden. Zudem sollte nie unaufgefordert Feedback gegeben werden. Es lohnt sich, immer erst zu fragen: „Möchtest du Feedback haben?“ bzw. „Darf ich dir Feedback geben?“ Auf diese Weise kann der Empfänger oder die Empfängerin des Feedbacks selbst bestimmen, ob er oder sie in eine Reflexion gehen oder zum aktuellen Zeitpunkt auf eine Rückmeldung verzichten möchte.

Feedback ist ein gutes Werkzeug für die kontinuierliche Verbesserung. Im agilen Umfeld ist es auf Grund des häufigen Feedbacks umso wichtiger, ein Feedback zu geben, das der Empfänger will – und das daher für ihn wertvoll ist.

Geschrieben von

Lucy Larbi Lucy Larbi Lucy Larbi geht grundsätzlich davon aus, dass Veränderungen mit Verbesserungen verbunden sind. Sie selbst ist dafür das beste Beispiel: Ihre Studien hat sie in vier Ländern absolviert, anschließend haben sie anspruchsvolle Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit unter anderem nach Äthiopien und Algerien geführt. Wirtschaftliche Verbesserungen sind ihr auch als Gründerin des Deutschland-Zweigs von „Future of Ghana Germany“ ein Anliegen. Mutig immer wieder das Ungewisse zu wagen, ist nur eine der Stärken von Lucy Larbi. Sie ist eine exzellente Kommunikatorin, die sich sowohl in Teams eingliedern als sie auch führen kann. Für das Erreichen gemeinsamer Ziele bringt sie die Fähigkeit mit, komplexe Sachverhalte für alle verständlich darzustellen und sie zeigt vor, dass sich Weitblick und pragmatisches Handeln nicht ausschließen.

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