Warum fallen uns Veränderungen so schwer?

Mit dieser Frage plagen sich viele Organisationen, die vor einer großen Veränderung stehen. Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir erst einmal verstehen, was eine Veränderung überhaupt ist und wieso wir sie brauchen.

Eine Organisation erkennt den Zeitpunkt für eine Veränderung oft anhand einer Krise. Es ist also ein Gefühl der Dringlichkeit vorhanden: die Strategie, die Struktur und die damit einhergehenden Arbeitsweisen müssen anders werden – vielleicht agil. An diesem Punkt erkennen die Verantwortlichen, dass sich die Organisation mittel- und langfristig weiterentwickeln muss, um am Markt bestehen zu können und wettbewerbsfähig zu sein.

Solche Veränderungen betreffen aber meist nicht nur die Strategie oder die Struktur. Denkt man an das magische Dreieck der Organisation, gibt es noch einen dritten Eckpfeiler, der essentiell ist, aber oft vernachlässigt wird. Dieser Eckpfeiler ist die Kultur, die im Laufe der Zeit „gewachsen“ ist. Die Kultur ist eine wichtige Stütze, die eine Organisation erst wirksam macht – oder sie auch behindert. Wie auch immer diese Kultur konkret aussieht: Sie gibt den Menschen in der Organisation Sicherheit, Orientierung, Identifikation, Stabilität und hat somit eine Steuerungsfunktion.

Veränderung löst große Gefühle aus

Wird nun eine Veränderung angestoßen, die die Rahmenbedingungen derart verändert, dass auch ein Kulturwandel nötig ist, dann löst das in den Menschen Angst aus. Sie ziehen sich vor dieser Veränderung zurück. Ein Kulturwandel bedeutet, dass die Grundannahmen in einer Organisation in Frage gestellt werden. So wie Werte werden diese Grundannahmen von Emotionen getragen – und diese Emotionen müssen ernst genommen werden.

Oftmals, wenn eine Veränderung stattfindet, erfahren Organisationen Gegenwehr. Dennoch gibt es auch Veränderungen, die Menschen gerne mitmachen. Woran liegt das? Meist an dem Gefühl, das Menschen mit der Veränderung verbinden. Ein Beispiel hierfür ist eine Hochzeit, die eine sehr tiefgreifende und langfristige Veränderung ist, auf die sich zwei Menschen im Idealfall freuen, statt Angst davor zu haben. Das liegt an den positiven Gefühlen, die sie damit verbinden.

Dan und Chip Heath beschäftigen sich in ihrem Buch „Switch“ genau mit diesem Thema. Das menschliche Gehirn ist in zwei Systeme geteilt:

  1. Das rationale System
  2. Das emotionale System

Das rationale System wird durch den Verstand gesteuert und weiß nüchtern betrachtet, was gut oder eben auch nicht gut ist. Es ist vernunftgeleitet und zweckorientiert, orientiert sich an Tatsachen und lässt Gefühle außen vor. Das bedeutet: Wenn eine Organisation gute Argumente findet, wieso eine Veränderung nötig ist, wird das bei einem Teil der Mitarbeiter auf fruchtbaren Boden fallen. Das rationale System versteht die Argumente und erkennt sie an.

Doch schon folgt das große ABER. Denn auch wenn Menschen rational gesehen im Stande sind, die Veränderung nachzuvollziehen, so gibt es noch System zwei. Es spiegelt die Gefühle wider und trifft im Gegensatz zu System 1 keine vernunftgeleiteten Entscheidungen, sondern handelt intuitiv und emotional. Es ist groß und stark und hat enormen Einfluss auf System eins.

Wie man den Elefanten durch die Veränderung steuert

Dan und Chip Heath nennen dieses emotionale System auch den „Elefant“. Wer eine Veränderung herbeiführen will, muss daher immer beide Systeme ansprechen. Die beiden Brüder bieten in ihrem Buch einen dreistufigen Ansatz, mit dem sich eine Veränderung erfolgreich gestalten lässt:

  1. Direct the rider: Hier wird System 1, also die Vernunft, angesprochen. Der Reiter (System 1) sitzt auf dem Rücken des Elefanten (System 2). Dem Reiter müssen ein klares Ziel und konkrete Schritte aufgezeigt werden, mit denen er dieses Ziel erreichen kann, damit er nicht im Kreis reitet. Also: Was ist das Ziel der Veränderung in der Organisation, was ist die Vision und wie kann sie erreicht werden?
  2. Motivate the elefant: Die Gefühle müssen angesprochen werden, denn sie sind mächtig und groß (wie ein Elefant). Sie sind in der Lage, uns zu steuern und unser rationales System zu überstimmen. Daher müssen auch die Gefühle adressiert werden, die Menschen in der Organisation daran hindern, Dinge zu verändern. Am besten wird die Veränderung in kleine, nicht mehr ganz so bedrohliche Häppchen zerteilt. Voraussetzung dafür ist, die Motive zu verstehen, die hinter diesen Gefühlen stecken. Nur wenn das gelingt, kann gemeinsam an einer Lösung gearbeitet werden.
  3. Shape the path: Wenn sich eine Situation verändert, verändert sich auch das Verhalten. Daher muss das Umfeld, in dem sich die von der Veränderung betroffenen Menschen bewegen ggf. angepasst werden. Es müssen neue Gewohnheiten entstehen, die Sicherheit geben. Dafür müssen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Die Menschen müssen mobilisiert werden, diesen Weg gemeinsam zu gehen.

Betrachtet man nur diese drei Punkte, so ist deutlich erkennbar, dass das, was eine Veränderung für die Menschen bedeutet, viel Zeit in Anspruch nimmt und die Menschen diese Zeit brauchen. Sie sollte gut genutzt werden, um die Motive zu verstehen, durch die jene Gefühle ausgelöst werden, die eine Veränderung so schwer für uns machen. Wenn das gelingt, ist der Weg für die Veränderung frei.

Die Konsequenz für Veränderer

Was bedeutet das für einen angehenden ScrumMaster, einen Product Owner bzw. für diejenigen, die eine Veränderung herbeiführen wollen, um damit die „neue Organisation“ in die Lieferfähigkeit zu bringen?

Mit der Einführung agiler Methoden ist der Wandel von Arbeitsroutinen verbunden. Das Aufbrechen eben dieser Routinen, die dem Menschen als Gewohnheitstier Sicherheit geben, fällt uns schwer. Überträgt man den Ansatz der Heath-Brüder auf ein angehendes Scrum-Team, so ist es die Aufgabe eines ScrumMasters unter anderem, die Motive jedes Einzelnen im Team zu ergründen und zu verstehen.

Hierfür sind viele Gespräche notwendig, die Gewohnheiten und Ängste ans Licht bringen, die Relevanz verdeutlichen und die dahinterstehenden Gefühle sichtbar machen. Hindernisse werden klarer und können mit Hilfe eines eindeutigen Ziels, konkrete nächste Schritte und mit dem Etablieren neuer Gewohnheiten in Angriff genommen bzw. beseitigt werden.

Um das Alte abzuschließen, muss man es also erkunden und verstehen. Und man muss Kraft investieren, um etwas Neues entstehen zu lassen, das den Menschen in der Organisation die Sicherheit wiedergibt.

 

Foto: pixabay license

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Sina Tisch Sina Tisch Sina Tischs Motto lautet: Jede Veränderung ist eine Tür, die sich öffnet. Ob Sie nun darauf zustürmen oder davor innehalten – das Entscheidende ist, dass Sie bewusst durchgehen. Sina unterstützt Sie mit ihrer Empathie und der Fähigkeit, die Bedürfnisse und Probleme anderer zu verstehen und offen zu benennen. Der Betriebswirtin und begabten Handwerkerin fällt das agile Arbeiten leicht, weil sie Dinge nicht zerdenkt, sondern anpackt – und sich traut, auf dem Weg aus Fehlern zu lernen. Was dafür nötig ist: eine Kultur des Miteinanders und Vertrauens. Offenheit ist der Wert, der sie antreibt – beim Coaching von Teams genauso wie im Privaten. Wie wertvoll wechselnde Perspektiven, passende Methoden und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in die der anderen sind, weiß Sina nicht nur in der Beratung zu schätzen, sondern erlebt sie als vielseitige Sportlerin auch beim Klettern, Skifahren und Tauchen.

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