Der Unternehmenskultur den Spiegel vorhalten

„Wir müssen die Unternehmenskultur verändern! Was das konkret heißt: Fokus auf den User: Welche Probleme hat er, was möchte er? Und natürlich extrem beschleunigte Produkteinführung. Unsere Produkte müssen schneller auf den Markt kommen!“
Wenn das der Werbeslogan für das nächste Scrum-Buch wäre, wären die Sätze noch harmlos. Viel gefährlicher werden sie im Zusammenhang mit frisch eingestellten Managerinnen und Managern in Konzernen, die damit die anstehenden Veränderungen unter ihrer „Führungsperiode“ verkünden. Doch die Unternehmenskultur ist die DNA der Organisation und diese ist gerade in traditionellen Unternehmen stark verankert. Sie lässt sich nicht durch neue schriftlich formulierte Regeln verwalten oder wie fades Obst im Supermarkt durch die Präsentation im richtigen Licht noch ein bisschen länger als frische Ware verkaufen.

Warum ist eine Veränderung der Unternehmenskultur wichtig?

Eine ehemalige Kollegin hat einmal zu mir gesagt: „Wenn ich mir als Unternehmen den respektvollen Umgang untereinander in meinen Wertekanon schreiben muss, dann läuft wirklich etwas schief.“ Ich muss sagen, sie hat recht. Bestimmte Werte, wie beispielsweise Respekt, als stabile Säule der Unternehmenskultur pro forma festzulegen, ohne zu hinterfragen, ob wir sie wirklich leben, reicht nicht aus.
Haltung, Werte, der Umgang unter Kollegen und Kolleginnen, eben alles, was die sogenannte Unternehmenskultur ausmacht, das können wir nicht auf Knopfdruck verändern (Niklas Luhmann hat sich ausführlich mit diesem Thema beschäftigt). Sie entwickelt sich kontinuierlich weiter, durch Ereignisse im Arbeitsalltag, die Art der Zusammenarbeit, die Haltung jedes Einzelnen oder durch das Zusammenspiel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Unternehmen, aber auch in einzelnen Bereichen oder Teams.

Der erste Impuls zum Kulturwandel: Den Mitarbeitenden die Möglichkeit bieten, sich selbst zu beobachten

Doch ich wäre keine gute ScrumMasterin, wenn ich hierarchische, von Effizienzdenken geprägte Kulturen in Unternehmen oder Teams einfach als unveränderbar hinnehmen würde. (Auch wenn das um vieles einfacher wäre.) Ich möchte dabei helfen, eine Kultur zu etablieren, die sowohl die Kundinnen und Kunden als auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Mittelpunkt stellt, in der Zusammenarbeit Spaß macht, niemand das Bedürfnis hat andere klein zu machen, um selbst größer zu werden, Kollegen und Kolleginnen auf Augenhöhe miteinander arbeiten und in Fehlern gemeinsam die Chance auf Weiterentwicklung entdecken.
Der erste Schritt für mich zu dieser Kultur, deren Fokus wieder auf den Menschen liegt, ist Transparenz. Ich versuche also den Wandel in der Unternehmenskultur durch absolute Transparenz anzustoßen. Denn wenn ich den Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit biete, sich selbst zu beobachten, fangen sie an, Dinge zu hinterfragen, können gemeinsam aus Fehlern lernen und die Organisation ein Stück besser machen. Diese Transparenz gerade in der Kommunikation ist ein bisschen so, als würden wir uns selbst täglich den Spiegel vorhalten und uns, als Teil unseres Unternehmens, darin beobachten.

Der Realität ins Auge blicken – mit Scrum

Bei meinen Kunden im Versicherungsbereich nutze ich im ersten Schritt Scrum als „Diagnosetool,“, um zu beobachten, wo sie aktuell in ihrem Mindset, also in ihrer Kultur verankert sind. In der crossfunktionalen Zusammenarbeit zeigt sich schnell: Sind die Teams bereit, Fehler oder nicht erreichte Ziele offen anzusprechen? Oder versuchen sie doch immer wieder, sich ins bessere Licht zu rücken? Wie gehen Anforderer und Stakeholder damit um?
Der Realitätscheck: Wenn wir den Sprintzyklus stringent in den Teams verfolgen, fordert er eine oft ungewohnte Transparenz ein. Wir haben keine Möglichkeit, Pläne im Nachhinein anzupassen, fehlende Lieferungen unter den Tisch fallen zu lassen oder halbfertige Features zu beschönigen. Wenn wir unser Sprint-Ziel nicht erreichen, dann ist das für alle sichtbar. In diesem Moment lässt sich ganz sicher eine entscheidende Haltung der Unternehmenskultur in Bezug auf Fehler beeinflussen oder besser: die Möglichkeit voneinander zu lernen. Wir können das verfehlte Sprintziel entweder als Fehler oder unzureichende Leistung ansehen, über die wir lieber nicht sprechen, oder aber wir sehen die Chance, die in diesem Moment liegt. Wir haben bereits nach zwei Wochen (die am häufigsten gewählte Sprintlänge) die Möglichkeit, herauszufinden, warum unser Plan in der Umsetzung nicht aufgegangen ist und können mit Maßnahmen gegensteuern!
Wenn Sie merken, dass Ihre Teams sich noch schwer damit tun, Fehler transparent zu machen und diese als Chance anzusehen, bietet die Retrospektive eine tolle Möglichkeit für die Teammitglieder, um an ihrer eigenen Haltung und ihrer Feedbackfähigkeit zu arbeiten.

Für Teams, die noch nicht mit der Methode Scrum arbeiten: absolute Transparenz in jeglicher Kommunikation

Moderne Kommunikationstools, wie beispielsweise Microsoft Teams, bieten die technische Möglichkeit, durch die Anlage entsprechender Teams und Kanäle die Kommunikation für alle offen zu legen. Das Credo ist: Es soll so wenig bilaterale Gespräche wie nötig und dafür so viel transparenten Austausch wie möglich über für alle zugängliche Kanäle geben. Wenn also in einem Kanal eine Frage beantwortet wird, haben häufig schon mindestens drei Kollegen und Kolleginnen, die vor dem gleichen Problem stehen, mitgelernt.
Noch besser sind schriftliche Daily- oder Weekly-Check-Outs, in denen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen untereinander Erfolgserlebnisse und Erkenntnisse teilen. Damit fördern wir die Zusammenarbeit auf Augenhöhe: Wir brechen die Systematik auf, dass neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Fragen stellen, die ausschließlich von erfahrenen Kollegen und Kolleginnen beantwortet werden. Denn jeder kann hier seine Fragen loswerden und jeder kann sie beantworten.

Tauschen wir uns aus!

Was sind Ihre Erfahrungen, Gedanken und Ideen zur Unternehmenskultur? Ich freue mich über Ihre Kommentare hier und auf Social Media.
Bild: Unsplash License, You X Ventures

Geschrieben von

Kristina Rühr Kristina Rühr Kristina Rühr kennt als langjährige Beraterin im Bereich Banken und Versicherungen die Herausforderungen, wenn klassisches Projektmanagement und agiles Vorgehen aufeinandertreffen. Besonders mit ihrem Blick für die Stärken der Einzelnen und ihrer positiven Einstellung unterstützt Kristina Teams dabei, über sich hinauszuwachsen – denn der Schlüssel zum Erfolg ist immer der Mensch. Als laterale Führungskraft bringt sie Teammitgliedern, Kunden und Stakeholdern den Spaß an der Zusammenarbeit und dem gemeinsamen Liefern zurück.

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