Warum Banken von Agilität enttäuscht sind – und wie sie ihre Transformation erneut beleben

Die Bankenbranche war eine der ersten, die sehr konsequent auf agile Arbeitsmodelle gesetzt hat, um ihre Kernprozesse nachhaltig mit anderen Arbeitsmodellen zu digitalisieren. Vorreiter war sicherlich die ING, die ein Modell aus der Software-Branche (Spotify-Modell) für sich adaptiert und konsequent in einer Aufbaustruktur umgesetzt hat. Viele weitere Bankenkonzerne sind dem gefolgt.

Nun, im Jahr 3-5 auf dem Transformationspfad, verliert vieles an Dynamik. In den Konzernen gibt es implementierte agile Arbeitsmodelle, die Aufbaustrukturen wurden zum Teil sehr konsequent angepasst, zum Teil nur immer wieder adjustiert. Der Kurs der Transformation in der Ablauforganisation scheint zu stimmen, aber hat an Dynamik verloren.

Wo ist die Dynamik geblieben?

Der Problemraum

Der Konzern verbucht Erfolge: Die neue Aufbauorganisation mit agilen, end-to-end-verantwortlichen Teams hat sich oftmals als grundsätzlich richtig erwiesen (richtige Zuschnitte der Teams und Verantwortlichkeiten). Aber anstatt in den Flow zu kommen, stockt die Arbeit:

  • Die ehrgeizigen Digitalisierungsoffensiven bringen Bugs mit sich. Dazu kommen neue Anforderungen an die Systeme, um nachhaltige Produktentwicklung umzusetzen. Dabei wird die teilweise fehlende Unterstützung aus der Organisation aufgedeckt. Es zeigen sich Ermüdungserscheinungen.
  • Die Reaktionsgeschwindigkeit bei kurzfristigen neuen Anforderungen oder Anfragen ist gering, was dazu führt, dass die Flexibilität fehlt, obwohl man sich genau diese von der Agilität erhofft hat.
  • Der Organisation fällt es schwer, zu liefern und die Geschwindigkeit ist nicht zufriedenstellend: Die Operationalisierung von Strategien (echte, zielgerichtete Lieferungen), die Koordination und der Fokus fehlen.
  • Es gibt Probleme im Zielesetzen: Die Teams schaffen nicht das, was sie sich vorgenommen haben.
  • Das Prinzip „Agile“ auf Teamebene ist den meisten Menschen im Unternehmen zwar klar, die Integration in einen gesamtheitlichen Unternehmensprozess ist aber nicht transparent oder nicht gegeben.

Der Reflex

Rückkehr zu dem, was man früher kannte:

  • Zentralisierung von Entscheidungen
  • Statusberichte aus den Teams
  • Prä-prä-prä-Priorisierungsworkshops auf Managementebene für Budgets, anstatt den selbstorganisierten Teams Budgets zu geben und darauf zu vertrauen, dass sie damit etwas Wertgenerierendes liefern werden – eben das, was mit dem gegebenen Budget möglich ist

Dieser Reflex ist natürlich. Wir Agilist:innen sagen allerdings: Trust the process. Wir empfehlen gezielte Reflexionen, denn das System hat bereits wahnsinnig viel gelernt. Das bedeutet, das Wissen darüber, was die Organisation am kontinuierlichen Liefern hindert, liegt in der Organisation – nicht ausschließlich auf der Management-Ebene. Vertrauen Sie darauf und holen Sie es heraus.

Was ist gewünscht?

Der Zielraum

Es besteht der Wunsch nach mehr Dynamik. Wohin soll die Organisation ihren nächsten Schritt setzen? WAS muss nun mit WEM angegangen werden, um die Dynamik aus den Anfängen der Transformation wieder zu erreichen? Dies sind Fragen der Führung, der neuen Strukturen und der gesamten Organisation.

Doing vs. being agile

Unserer Erfahrung nach liegt die fehlende Dynamik an dem sehr schwierigen Thema der Kultur, die für erfolgreiche agile Arbeitsmodelle entscheidend ist und sich nicht in dem Tempo weiterentwickelt hat wie die Anwendung des Methoden-Know-hows („Doing vs. Being Agile“). Umgekehrt wäre es mir lieber. Ein „weiter so wie früher“ funktioniert nicht in einer agilen Zusammenarbeit, die geprägt sein sollte von Offenheit, Transparenz, Wertschätzung und flachen Hierarchien. Stellen Sie diese drei Fragen, um das zu ändern:

  • Kultur: Ist die Organisation am Tipping Point zu einer „agilen Kultur“? Glaubt die Organisation an und lebt sie die Selbstorganisation von Teams? Sind die Prozesse (Zielsysteme, Beurteilungssysteme, Führung) alle darauf ausgerichtet? Solange die Antwort nein lautet, kann das System nicht die gewünschte Dynamik entfalten.
  • Mindset/Haltung: Wird eine heterogene Haltung zur Agilität im Top-Management aktiv transparent gemacht? Weiß jede:r im Führungsteam wo er oder sie steht und wo die anderen stehen? Wo sind Unsicherheiten und werden sie offen angegangen? Wenn nein, gibt es vermutlich unbewusste Tendenzen zu ursprünglich erlernten, weil vertrauten Verhaltensweisen. Die Konsequenz: Agilität ist zwar gewünscht, wird aber nicht authentisch vorgelebt.
  • Alignment: Gibt es gemeinsame Strukturen für Funktionen (Agile Coaches, Change Agents, Chief ScrumMaster), die an der Kultur im Unternehmen arbeiten und ein maximales Alignment ermöglichen? Gibt es für diese Funktionen einen gemeinsamen Nordstern und Auftrag für die Organisation? Solange die Antwort nein lautet, erfüllt diese Rolle keinen Sinn, denn organisationale Hindernisse werden nicht gezielt angegangen.

Was wir empfehlen

Glauben Sie daran, dass die Antworten bereits in Ihrer Organisation liegen. Die crossfunktionalen Teams wissen, warum sie nicht so schnell oder qualitativ hochwertig oder flexibel liefern, wie sich das jede:r (auch das Team wünscht). Und sie wissen, was richtig gut funktioniert. Holen Sie dieses Wissen heraus und gehen sie schrittweise und konsequent daran, den Rahmen zu verbessern. Das reicht von Prozessen, die noch nach altem Muster laufen, über die unterschätzten Betriebsthemen, die nicht verschlankt wurden, bis hin zu technischen Abhängigkeiten, die einfach nicht aufgelöst werden. Wenn Sie das Wissen herausholen, finden Sie auch die erfolgreichen, nachahmbaren Vorgehensweisen, die bereits in einzelnen Teams gelebt werden und für alle Einheiten im Unternehmen transparent sein sollten.

Aber bei allem Enthusiasmus: Treiben Sie bitte keine neue Sau durchs Dorf. Hören Sie zu. Alle Mitarbeitenden wissen, worum es geht! Sie haben ihre Lernerfahrungen und wissen, wo etwas funktioniert und wo nicht, warum es nicht funktioniert und wie es besser laufen könnte. Das bedeutet nichts anderes, als fragen und zuhören, priorisieren, erfolgreiche Vorgehensweisen skalieren und Hindernisse wegmachen.

Schritt 1: Inspect (das Wissen aus der Organisation holen)

  1. Initiieren Sie einen Health-Check bzw. ein Assessment, um den Stand der agilen Transformation in allen Einheiten zu kennen und weiterzuentwickeln.
  2. Investieren Sie in einen echten Blick in die Teams (durch Retrospektiven-Formate). Es reicht, wenn Sie das mit einem repräsentativen Durchschnitt der Teams der Organisation durchführen.
  3. Nehmen Sie situativ an übergreifenden (skalierten) Arbeitstreffen teil. Nehmen Sie dabei Stichproben aus „reifen“ und „weniger reifen“ Teams, Tribes oder Clustern, um zu identifizieren, wo die Knackpunkte einer erfolgreichen Umsetzung sind.
  4. Holen Sie sich O-Töne aus Interviews mit wichtigen Stakeholdern.
  5. Führen Sie ein Führungskräfte-Assessment durch und entwickeln Sie ein Gespür für die Haltung im Management:
    • Wie offen ist die Kommunikation? Macht die Führung ihre eigenen Lieferungen transparent, so wie sie es von den Teams erwartet?
    • Wie steht es um das Verständnis und die Umsetzung von Servant-Leadership?
    • Wie schaffen Führungskräfte eine klare Ausrichtung und welche Zielsysteme verwenden sie zur Unterstützung?
    • Was ist der Hauptfokus bzw. die Haupttätigkeit der Führungskräfte? Was tun sie aktuell noch, was eigentlich durch die selbstorganisierten Teams mit verantwortet werden sollte, und warum ist das noch so? Gerade bei einem Reboot wird die Organisation stark auf das Verhalten des Führungsteams achten. Achten Sie also darauf, dass Ihr Handeln zum ausgegebenen Ziel passt. Gönnen Sie sich die Zeit, sich im Führungsteam darüber abzustimmen.
  6. Und als letzte und sehr wichtige Beobachtung: Wo und wie häufig sind Kunden mittlerweile Teil der Rituale der Teams bzw. der Organisation?

Aus diesem Schritt 1 können Sie einheitsbezogene Maßnahmen zu Weiterentwicklung ableiten und Überthemen erkennen, die die ganze Organisation hemmen. Nun brauchen Sie nur den Willen zur konsequenten Umsetzung der Maßnahmen.

Wenn Sie noch mehr tun wollen:

  • Gehen Sie in den Austausch mit Unternehmen, nach deren Vorbild Sie streben – auch außerhalb der eigenen Branche. Wer hat eine ähnliche Transformation, möglicherweise mit ähnlichen Ernüchterungserscheinungen,durchlaufen? Wer ist für Ihre Organisation ein Vorbild? Apple, Google, Handelsbanken? Erforschen Sie sie neugierig. Rufen Sie sie an.
  • Holen Sie sich Impulse von Externen (z. B. uns) zu Hindernissen in der Transformation

Schritt 2: Adapt (Reboot)

Lösen Sie sich in dieser Phase, wenn Ihre Organisation sich seit ein paar Jahren auf dem Weg der Transformation bewegt, von Frameworks, die bei anderen Unternehmen erfolgreich waren, und gehen Sie Ihren eigenen Weg. Definieren Sie Ihr eigenes Framework.

Stellen Sie nun ein Team – aus einem repräsentativen Querschnitt der jetzigen schon transformierten Organisation – zusammen (5-7 Mitarbeiter:innen). Dieses Reboot-Team entwickelt die Transformation anhand eines Reboot-Backlogs weiter (Unternehmensversion 2.0):

  1. Das Reboot-Team nutzt das vorhandene Wissen und die Lernerfahrung der Organisation für die nächsten erforderlichen Schritte.
  2. Es sammelt gezielt bereits bestehende Good Practices und stellt den Transfer in die Organisation sicher.
  3. Es überträgt Lernerfahrungen von Clustern/Tribes auf andere Cluster/Tribes und entwickelt so für jede Einheit den passenden nächsten Schritt. Ihre Vorgehensweise, die zu Ihnen passt.
  4. Große Transformationshindernisse (z. B. die Haltung?) werden transparent und durch das Reboot-Team mit Maßnahmen aus dem Weg geschafft.

Das Vorgehen „von der Organisation für die Organisation“ erhöht die Durchschlagkraft der Transformation durch starke Beteiligung (Dynamik) und Authentizität.

Titelbild: Floriane Vita, Unsplash

Geschrieben von

Ssonja Peter Ssonja Peter

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