Scrum ist KANBAN - aber spielt das eine Rolle?

In den letzten Wochen, haben wir uns viel mit den Ideen zu Second Generation Lean Product Development von Don Reinertsen beschäftigt. Seine Ideen sind u.a. die Grundlage, um KANBAN, die von David Anderson ins Leben gerufene Methode, die sich derzeit als Gegenentwurf zu Scrum verkaufen lässt, zu verstehen. Nachdem wir uns intensiv mit den Gedanken von Don Reinertsen auseinandergesetzt hatten und ich im letzten Jahr das Seminar von Anderson besucht hatte, war mir immer weniger klar, wieso Leute der Meinung sind, dass Scrum und KANBAN etwas Unterschiedliches seien. Klar - es gibt ein paar unterschiedliche Best-Practices, aber spätestens, wenn man die Kadenzen in KANBAN-Teams einführt oder auf einem Scrumboard ein zweite Zeile, in der man zwei Projekte voneinander trennt, einführt (Swim-Lanes), heben sich die Unterschiede schnell auf. Wieso also diese Unterschiedlichkeit und der teilweise heftig geführte Schlagabtausch, ob nun "Scrum revolutionär" und "KANBAN evolutionär" sei (David Anderson) und wieso war ich selbst anfangs so sehr von KANBAN enttäuscht? Denn ich hatte in KANBAN, mit Ausnahme der Idee der besseren Metriken und der Möglichkeit, nun erklären zu können, wieso Scrum funktioniert, nichts Neues gesehen. Und ich hatte den Nachteil gesehen, dass KANBAN Teams die Möglichkeit lässt, den Wasserfall als Verhinderer von Agilität im Team zu belassen.Zwei Seiten des UUnser Teammitglied Sven Winkler, der u.a. die Agile User Group Nürnberg (Agile Monday) mit veranstaltet, hatte dann eine Eingebung: Nachdem er von der Theorie U gehört hatte, einem Themenschwerpunkt in unserer ScrumMaster Pro Ausbildung, zog er den Vergleich, dass KANBAN auf dem linken Ast liegt und Scrum auf dem rechten. Heureka! Na klar! KANBANs Stärke liegt darin die Arbeit und die Bottlenecks aufzuzeigen. Bevor diese Probleme nicht klar und deutlich vor Augen liegen, verändert man erst einmal nichts. KANBAN beginnt mit der Aufnahme des existierenden Prozesses, zeigt die Value Chain auf und zeigt dann die Bottlenecks. Dadurch entsteht so etwas wie ein Bewusstsein über die Verhältnisse und es werden keinerlei Veränderungen von einem Team verlangt. Erst wenn es selbst merkt, dass ein Prozessschritt nicht weitergeht, dann wird gehandelt. Dann führt man ein Work in Progress Limit ein, dann die Kadenzen und schließlich noch die Retrospektiven. Demgegenüber liegt auf der rechten Seite des Us: die Lösung, die Synthese und die Epiphanie. Scrum geht von der Tatsache aus, zu wissen, welcher Prozess (nämlich der Deming Cycle) zur kontinuierlichen Verbesserung führt und macht von Anfang an klar, dass es gewisse Verantwortungen zu erfüllen gibt. Ausgehend von einem in den 1980ern wissenschaftlich evaluierten und durch Case Studies abgesicherten Bild, wie das Management von Produkten laufen sollten, hatte sich ja eine Methode etabliert, die genau wusste, wie es geht und was es braucht, damit Teams hyper-erfolgreich werden können.Scrum nutzt Aspekte aus, die selbstverständlich auch klar werden, wenn man lange genug KANBAN macht. Don Reinertsen erwähnte übrigens in unserem Seminar, dass Scrum im Grunde Second Generation Lean Product Development ist. Scrum liefert quasi bereits die Lösung:Teamzentriertheit, Sichtbarkeit, Best Practises wie z.B. das Taskboard, Kadenzen, regelmäßige Meetings und Lieferungen, Work in Progress Limits on the fly = WIP/pro Sprint = Commitment und ein Backlog. Also die Idee, in Lieferungen anstatt in Aufgaben zu denken. 

Scrum führt zu Widerstand

Aber, all das liegt auf der Lösungsseite und nicht wie KANBAN auf der Analyseseite. Nimmt man nun das SCARF-Modell von David Rock (Brain@Work), wird sofort klar, wieso Scrum bei vielen Teams und Managern zu Widerstand führt, während KANBAN sich leichter integrieren lässt und anpasst: 

  1. Scrum Evangelisten gehen zu Teams und sagen: "Ihr müsst anders arbeiten." Das führt zu Widerstand, weil man das Team in seinem Status herabsetzt.
  2. Scrum Evangelisten sagen oft: "Ihr seid das Team! Findet heraus, wie ihr arbeiten wollt." Das führt zu Unsicherheiten beim Team. KANBAN sagt: "Ändert mal nichts. Wir wertschätzen, was ihr bis jetzt gemacht habt. Findet dann SELBST heraus, was ihr ändern wollt."
  3. Damit haben sie das Prinzip der Autonomy besser als Scrum Evangelisten geachtet. Denn wieder überlässt man es dem Team zu entscheiden, was zu tun ist.
  4. David Rock behauptet weiter, dass Verbundenheit für Menschen wichtig ist. Mit Scrum stellt man sich zunächst in die "wir sind anders und ihr müsst euch ändern"-Ecke. Das ist nicht gerade ein Thema der Verbundenheit. KANBAN macht auch hier wieder genau das Gegenteil: "Wir sind wie ihr. Wir fragen mal nach, welchen Prozess ihr habt." (In der deutschen Organisationsentwicklungsszene nennt man das "Macht Betroffene zu Beteiligten").
  5. Last but not least: Scrum Evangelisten verletzen das Thema Fairness. Sie zeigten auf, dass die Arbeitsprozesse, die bisher geleistet wurden, nicht gerade perfekt sind, und dass zum Beispiel Manager daran "schuld" sind. Menschen nehmen das nicht gerade gut auf, wenn sie so "vorgeführt" werden. Auch hier hat KANBAN, da es sich auf der linken Seite der U-Kurve befindet, noch keinen "Angriff" gestartet. Es sensibilisiert zunächst und durch den expliziten Satz "Die Betroffenen wissen immer am besten, wie man arbeitet", macht KANBAN zunächst klar: Ihr seid ok!

 Gerade für das mittlere Management, die Quelle der Veränderungsresistenz, ist auf den ersten Blick KANBAN zu Anfang die weniger gefährlichere Variante. Viele Consultants nutzen das. Sie machen die Tatsache, dass Scrum den Ruf hat, Dinge zu verändern zu ihrem Verkaufsargument, Indem sie sich gegen Scrum und nicht gegen den Wasserfall aufstellen. Also nicht mehr sagen, wir wollen das traditionelle Management verändern, sondern agile ohne Scrum werden. Sie nutzen eine rhetorisch sehr geschickte Variante der Überzeugung. Sie zeigen auf, dass es ein Schreckensszenario gibt: "Mit Scrum verändert man etwas, da ist auch nicht klar, was mit Ihnen als Manager wird. Bei Scrum, da verändert man zuerst die Rollen und deshalb muss das Management mitziehen.[1] Jetzt werden einige sagen (meine Frau, der ich diese Zeilen vorgelesen habe, hat es sofort gesagt): "Er schreibt gerade gegen Scrum, also gegen das eigene Business." Naja, auf den ersten Blick schon. Zumindest wissen jetzt die Leser, wie man KANBAN effektiv gegen Scrum pitcht. Aber eines muss ich an dieser Stelle einfach loswerden: Scrum ist auf der rechten Seite des Us. Scrum ist das Zielmindset: Jurgen Appelos Management 3.0 oder Gary Hamels Management 2.0 [https://www.phoenix.edu/lectures/gary-hamel/management-2.html] sind in Scrum bereits inkludiert. Scrum hat die Ideen von IDEO zur Produktentwicklung aufgenommen und heute reden wir von der Discovery-Phase. Die fundamental anders abläuft, als der damals von einigen eingeforderte Zero Sprint. Sie ist notwendig, weil wir heute verstanden haben, dass man mehr als ein Backlog braucht. Scrum hat aufgedeckt, dass wir in vielen Firmen fundamentale Kenntnis-Defizite haben. Das fängt bei den Entwicklern an, die nicht über agile Entwicklungspraktiken verfügen, geht bei Produktmanagern weiter, die nur Anforderungsmanager sind, und zeigt auf, dass das Management in den Unternehmen nicht damit klar kommt, Umgebungen herzustellen, die für Teams geeignet sind. Scrum hat gemeinsam mit den neuen Entwicklungsmethoden die Zukunft, die Vision aufgezeigt. 

Don Reinertsens Second Generation Lean Product Development ist, so wie er es sowohl in seinem Buch, als auch in seinem Training darstellt, in KANBAN noch lange nicht aufgegangen. Er spricht davon, Ideen der deutschen Kriegsführung (der Auftragstaktik und des Maneuver Warfare (Bewegungskriegs)) in das Managen der Produktentwicklung aufzunehmen und die Ideen der US Marine Doctrine einzubauen, also: "Less Detailed Planning, Little Status Reporting, React to the Battle, Decentralized Control", uvm. Damit erzeugt er ein Modell der agilen Organisation, wie wir es bereits von Peter Drucker und Tom Petersen kennen und wie es heute von Gary Hamel vertreten wird. Spannend zu sehen, dass wieder der Krieg der Vater aller Dinge ist: Scrum wurde von US Militär Alumnis entworfen, Second Generation Lean Product Development von einem Ex-Marineoffizier. Könnte es sein, dass Ideen aus Situationen, in denen es darum geht, schnell zu sein und Territorium zu gewinnen, genau die Rezepte an Bord haben, um neue Märkte und neue Produkte zu entwickeln? Es ging immer um das NEW NEW PRODUCT DEVELOPMENT GAME. Lasst uns gemeinsam Unternehmen erschaffen, in denen Menschen sich optimal entfalten können. 

Second Generation Lean Product DevelopmentApplying the Principles of Flow

am 10. und 11. September 2012 in München

---------------[1] Übrigens denke ich mir solche Argumentationsstrategien nicht aus. Auf der OOP 2011 kam tatsächlich ein Consultant auf mich zu und hat mir genau diese Argumentationskette als seinen Verkaufspitch erklärt. Damals war ich einfach nur betroffen. Ich dachte immer, wir in der agilen Community wollten zusammen den Wasserfall, das Management des 19. Jahrunderts "bekämpfen". Die Idee, eine Methode, die erwiesenermaßen das Gute will, schlecht zu machen, nur um die eigene Methode zu verkaufen, war mir bis dahin vollkommen fremd. Klar hatte ich gegen KANBAN geschrieben, aber nur weil wir mit Scrum schon um vieles weiter waren als KANBAN. KANBAN war und ist für mich ein Rückschritt.

Agile Toolbox
KANBAN
Scrum
bgloger-redakteur
August 27, 2012

Table of content

Diesen Beitrag teilen

Das könnte auch interessant sein:

Agile Management
Agile Organization
Agile Prinzipien
Agile Toolbox
Transformation

FRAGE: Was kostet eine agile Transformation?

Agile Management
Agile Organization
Agile Toolbox
Leadership
Agiles Lernen

FRAGE: Welche Rolle spielt Training?

Agile Coach
Agile Management
Agile Organization
Agile Prinzipien
Agile Toolbox

FRAGE: Wer sind die Top 10 agilen Unternehmensberatungen?

Agile Management
Agile Organization
Agile Tools
Agiles Management
Leadership

FRAGE: Wie viel bringt die Investition? Was ist der Business Case dahinter?

Agile Management
Agile Organization
Agile Prinzipien
Agile Toolbox
Führung

FRAGE: Welche sind häufige Herausforderungen, die ihr beim Kunden löst?

Agile Management
Agile Organization

FRAGE: Warum sollten wir mit borisgloger arbeiten?

Agile Management
Agile Organization
Agiles Management
Transformation

FRAGE: Wie viel kostet eine Beratung und ist es wirklich rentabel bei borisgloger?

Agile Prinzipien
Agile Toolbox
Projektmanagement

The Lie Behind the Parable of the Golf Balls and the Jar

Video
Change
Digitale Transformation
Hardware
Agile Organization

Agile in Industrial Automation: The Digital Transformation of Yokogawa

Versicherung
Neues Arbeiten
Führung
Agile Prinzipien
Kundenfokus

Kundenzentrierte Versicherung: Kann ein agiles Projekt die Organisation retten?

Versicherung
Change
Digitale Transformation
Agile Prinzipien
Kundenfokus

Agilität in den Vertrieb bringen – für Versicherer sinnvoll

Versicherung
Agile Prinzipien
Kundenfokus
Agile Toolbox
Produktentwicklung

BizDevOps in der Versicherungsbranche – Wie multidisziplinäre Teams wirklich besetzt sein sollten

Versicherung
Agile Prinzipien
Kundenfokus
Neues Arbeiten
Meetings

Undercover Agile für Versicherer: 5 agile Praktiken für Ihr klassisches IT-Projekt

Versicherung
Change
Digitale Transformation
Agile Prinzipien
Kundenfokus

IT-Projekte in der Versicherungsbranche – Das Rennen um die Time-to-Market

Team
Neues Arbeiten
Agile Prinzipien
Selbstorganisation
Social Skills

Umgang mit Fehlern & Diversität – Erfolgreiche agile Teams #2

Team
Neues Arbeiten
Agile Toolbox
Produktentwicklung

Das Geheimrezept von High-Performance-Teams

Team
Arbeiten bei borisgloger consulting
Agile Prinzipien
Freiwilligkeit
Selbstorganisation

Konsent und offene Wahl: 2 Prinzipien aus der Soziokratie, die jedes agile Team gebrauchen kann

Team
Neues Arbeiten
Meetings
Social Skills

Der agile Adventkalender

Team
Agile Toolbox
Scrum
ScrumMaster-Praxistipps
Agile Prinzipien

Selbstorganisation der Teams fördern: Ask the team!

Team
Agile Toolbox
Design Thinking

Who Recognizes the Truly Good Ideas?

Team
Agile Organization
Transformation

Pizza Is Not Dead, and Neither Is Agility

Scrum4Schools
Neues Arbeiten
Führung
Life
Social Skills

Trauen wir unseren Kindern mehr zu – auch in der Schule!

Scrum4Schools
Change
Agiles Lernen
Neues Arbeiten
Remote Arbeiten

Eine Scrum4Schools-Projekt-Rückschau mit Physiklehrer Ivan Topic

Scrum4Schools
Mehr Formate
Interview
Nachhaltigkeit

Mit Scrum4Schools dem Weltraum auf der Spur

Scrum4Schools
Change
Agiles Lernen

Scrum4Schools - ein Projekt nimmt Fahrt auf

Scrum4Schools
Agile Schulentwicklung
Agile Toolbox

Technik im Alltag - Scrum4Schools zu Gast in Langenzersdorf

Projektmanagement
Agile Toolbox
Scrum
Scrum-Begriffe
ScrumMaster-Praxistipps

Sprechen Sie Agile? Den klassischen Projektplan in die agile Welt überführen

Projektmanagement
Agiles Management
Agile Toolbox
Scrum
Enterprise Scrum

Das Management in Scrum

Projektmanagement
Change
Digitale Transformation

Agilität in der Logistik oder: Liefern wie Amazon

Projektmanagement
Agile Toolbox
Scrum

Meilensteine und Scrum

Portfoliomanagement
Project management

Too many projects? Portfolio management simplified

Neues Arbeiten
Mehr Formate
Agile Toolbox
Scrum
Scrum Values

Wie agiles Arbeiten die Kommunikation aus der Selbstverständlichkeit holt

Neues Arbeiten
Change
Agiles Lernen
Mehr Formate
Audio

New Learning heute für das New Work von morgen – mit Angelika Weis

Neues Arbeiten
Change
Soziale Innovation

New Work Experience 2019 – ein Erfahrungsbericht

Neues Arbeiten
Audit
Change

Agil im Audit: das Starter-Kit

Neues Arbeiten
Agile Toolbox
Scrum
Scrum4Schools
Agile Prinzipien

Scrum4Schools: Lernen für die Zukunft

Neues Arbeiten
Agile Toolbox
Scrum
Scrum Meetings
Retrospektive

Arbeiten wir uns gesund!

Neues Arbeiten
Agile Toolbox
Scrum
ScrumMaster-Praxistipps

Who should be in (agile) HR?

Neues Arbeiten
Agile Toolbox
Scrum
Scrum Values

Glauben Sie an die Seele Ihrer Firma?

Neues Arbeiten
Agile Toolbox
Scrum
Product Owner
ScrumMaster-Praxistipps

Produktivität auf Irrwegen: "Führen wir schnell mal Scrum ein!"

Neues Arbeiten
Agile Prinzipien
Selbstorganisation
Social Skills
Team

Freiwilliges Teilen von Wissen – Erfolgreiche agile Teams #5

Neues Arbeiten
Agile Prinzipien
Selbstorganisation
Social Skills
Team

Doing vs. Being Agile – Erfolgreiche agile Teams #1

Neues Arbeiten
Agile Prinzipien
Selbstorganisation
Social Skills
Team

Freude bei der Arbeit & Sustainable Pace – Erfolgreiche agile Teams #3

Neues Arbeiten
Agile Prinzipien
Selbstorganisation
Social Skills
Team

Anpassungsfähigkeit & schonungslose Offenheit – Erfolgreiche agile Teams #4

Neues Arbeiten
Remote Arbeiten
Change
Digitale Transformation
Agile Toolbox

Transformationsberatung im Remote-Modus #4: die Unternehmenskultur verstehen