Feedback richtig entschlüsseln – Retrospektiven wirkungsvoll gestalten #2

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint, so haben doch die Person, die Feedback gibt und jene, die es bekommt, beide eine aktive Rolle: Die Aufgabe der ersten besteht darin, Feedback so zu formulieren, dass die andere es annehmen kann. Die Aufgabe der annehmenden Person besteht darin, aktiv zuzuhören, die entgegengebrachten Informationen aufzunehmen, zu entscheiden, was sie mit ihnen macht und, zu guter Letzt, ob sie etwas an ihrem Verhalten ändern möchte.

In „Retrospektiven wirkungsvoll gestalten #1“ haben wir uns damit beschäftigt, warum Feedbackschleifen wichtig sind und wie der ScrumMaster in einer Retrospektive den entsprechenden Raum für Feedback schafft. Nachdem der ScrumMaster einen passenden Rahmen für Feedback geschaffen hat, können jedoch Missverständnisse in der Kommunikation immer noch vom Kern des Feedbacks ablenken und dazu führen, dass dieses nicht angenommen wird.

Feedback im „Kommunikationsquadrat“ verorten

Bevor erste Maßnahmen zur Veränderung aufgenommen werden, muss das Feedback zunächst entschlüsselt werden. Feedback kann, wie jede Nachricht, auf verschiedenen Wegen „gesendet“ und „empfangen“ werden. Um die Perspektiven der Teammitglieder schneller einzuordnen und um für klarere Kommunikation in agilen Projekten zu sorgen, dient den ScrumMastern und Agile Coaches das „Kommunikationsquadrat“ als Stütze in der Vor- und Nachbereitung von 1:1-Feedbackgesprächen oder bei Retrospektiven, die Feedback im Fokus haben.

Friedemann Schulz von Thun entwickelte dieses Kommunikationsmodell, auch bekannt als „Vier-Seiten-“ oder „Vier-Ohren-Modell“, um vier Ebenen der Kommunikation zu unterscheiden: die Sachebene, die Selbstkundgabe, den Beziehungshinweis und den Appell. Dieses Modell hilft insbesondere Agile Coaches und ScrumMastern, zu erkennen, auf welcher Ebene sie selbst, ihre Product Owner und ihre (Dev-)Teammitglieder kommunizieren. Feedback im „Kommunikationsquadrat“ zu verorten, hilft dabei, es zu entschlüsseln und die Botschaft des Feedbackgebers besser zu verstehen. Allerdings möchte ich anmerken, dass sich das Modell einzig auf die Nachricht bzw. Aussage bezieht und weitere Kommunikations-„Tools“ wie Mimik, Gestik und Körpersprache nicht einbezogen werden. Diese können die verbale Botschaft unterstützen oder als Störfaktor wirken, wenn zum Beispiel Feedbackinhalt und Gestik nicht kongruent sind. Schulz von Thun bringt dies in einem Satz auf den Punkt:

„Sowohl Sender als auch Empfänger sind für die Qualität der Kommunikation verantwortlich, wobei die unmissverständliche Kommunikation der Idealfall ist und nicht die Regel.“ (Schulz von Thun)

Feedback übersetzen

Konzentrieren wir uns also auf die Feedbackbotschaft und „übersetzen“ das Modell auf eine Feedbacksituation: Hier übermittelt die feedbackgebende Person ihre Nachricht auf vier Ebenen. Sie sendet im Grunde vier mögliche Botschaften aus. Umgekehrt kann die Person, die das Feedback empfängt, die Botschaft auf vier Ebenen interpretieren. Nehmen wir an, das Team gibt dem Product Owner Feedback:

„Wir können deine Priorisierung des Backlogs nicht nachvollziehen“.

Ausgehende Botschaft
(Development Team)


Ebene Empfangene Botschaft
(Product Owner)


„Wir verstehen nicht, nach welchen Kriterien du das Backlog priorisierst.“


Sachebene

„Das Team versteht nicht, nach welchen Kriterien ich priorisiere.“


„Wir möchten deine Priorisierung verstehen.“


Selbstkundgabe
„Das Team gibt mir zu verstehen, was es möchte.“


„Wir würden gerne effektiver mit dir zusammenarbeiten.“


Beziehungshinweis
„Das Team möchte effektiver mit mir zusammenarbeiten.“


„Bitte erkläre uns, nach welchen Kriterien du priorisierst.“


Appell „Ich sollte dem Team erklären, wie ich priorisiere.“


Im Rahmen einer Retrospektive kann der Agile Coach bzw. Scrum Master das Team darauf aufmerksam machen, auf welchen Ebenen besonders oft „gesendet“ oder „empfangen“ wird. Kommuniziert ein Team z.B. besonders viel auf der Beziehungsebene, könnte ein Workshop zum gemeinsamen Teamverständnis, Umgangsregeln u.ä. helfen.

Um in der Retrospektive möglichst in den Lösungsraum zu kommen, hilft es, weitmöglichst auf der Sachebene zu kommunizieren, um das Problem besser zu verstehen: in dem obigen Beispiel die unbekannten Priorisierungskriterien des Product Owners.

Führen Sie selbst eine Retrospektive durch

Nutzen Sie doch die nächste Retro mit Ihrem Team, um zu schauen, auf welcher Ebene Nachrichten gesendet und empfangen werden, am besten mit konkreten Beispielen aus dem Alltag. Mit ein wenig Übung wird das Team schnell merken, auf welcher Ebene jeder kommuniziert.

Wenn Sie lernen wollen, selbst wirkungsvolle Retrospektiven mit Ihrem Team durchzuführen, empfehle ich Ihnen das Inhouse Training Praxiswerkstatt Retrospektive.

Eine besondere Art der Retrospektive, bei der wir Sie gerne unterstützen, ist die Corona-Retrospektive.

Die Reihe: Retrospektiven wirkungsvoll gestalten

#1 “Den geeigneten Rahmen für Feedback schaffen”

#2 “Feedback richtig entschlüsseln”

#3 “Feedback umsetzen in 3 Schritten”

Bild: Pexels License, Jopwell

Geschrieben von

Paulina Heins Paulina Heins

Kommunikation – verbal und nonverbal - ist einer der wichtigsten Dreh- und Angelpunkte in Paulinas Arbeit. Mit ihrem natürlichen Gespür für Systeme und Stimmungen im Raum schafft sie es, jederzeit verblüffend schnell zu reagieren und aus ihrem prall gefüllten agilen Handwerkskoffer das richtige Werkzeug herauszuholen, um Teams auf das nächste Level zu heben.

Wenn es nötig ist, legt Paulina den Finger in die Wunde. Elefanten im Raum macht sie es dabei mit ihrer authentischen und offenen Art gern schwer. Adressatengerecht kommunizieren und mit Haltung führen – diese zwei Erfolgsfaktoren bringt sie auch Führungskräften näher.

In ihrer Freizeit bildet Paulina sich außerdem in körperorientierter Trauma-Arbeit weiter. Ihr Wissen über unser zentrales Nervensystem kommt ihr dabei auch im Job immer wieder zugute.

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