Verteilt, aber nicht verloren: Führung von Scrum-Teams in der Zeit der Krise

Ich habe den Ernst der Lage selbst verdrängt. Das Team von borisgloger consulting ist auf Standorte in Österreich und Deutschland verteilt – und am Donnerstag letzter Woche setzte die österreichische Regierung dann die ersten strengen Maßnahmen. Wir sind es gewöhnt, die meiste Zeit remote miteinander zu arbeiten, aber dass wir gar keine Möglichkeit haben, uns direkt zu treffen, ist auch für uns neu. Das Wichtigste ist für uns, weiterhin unsere Kunden bestmöglich zu unterstützen und produktiv zusammenzuarbeiten.

So geht es vielen Teams derzeit: Gerade waren die Mitglieder noch zusammen an einem Ort und nun müssen sie gemeinsam und doch jeder von zuhause aus weiterhin Leistung erbringen, um die Krise wirtschaftlich zu überstehen. Wir können euch in dieser Zeit mit Tipps versorgen, damit eure Teams als Einheit diese Zeit gut überstehen können.

Die Stunde der Scrum Remote Master

Es ist eine Krise, Schönreden hilft nix. Nach dem berechtigten ersten Schreck ist es allerdings wichtig, nicht in Krisenzynismus oder übertriebenen Aktionismus zu verfallen. Führung heißt in dieser Situation, den Kontakt zu organisieren. In der Kaffeeküche im Unternehmen treffen sich die Menschen selbst. Wenn wirklich alle woanders sitzen, müssen diese Treffen bewusst gestaltet werden. Gemeinschaft herzustellen ist für den ersten Moment die wichtigste Leistung des Scrum Masters.

Dazu braucht es Tools, Disziplin und Führung.

Welche Tools haben/brauchen wir?

  • Tools für die Zusammenarbeit gibt es viele, doch ein Wildwuchs kann eurem Unternehmen gerade mehr schaden als nützen. Klärt mit der IT, ob euer Team sofort einsetzbare Remote-Tools wie Slack nutzen bzw. kurzfristig anschaffen darf. Wir selbst arbeiten mit Teams: Es gibt Channels für den Küchentratsch und natürlich arbeitsspezifische Channels, über die der Austausch super funktioniert.
  • Wenn ihr diese Tools nicht nutzen dürft und in die Steinzeit der Remote-Arbeit zurückmüsst: Verwendet das erlaubte Konferenz-Tool und richtet eine Kamera aufs Taskboard oder macht immer aktuelle Fotos davon.
  • Und wenn das auch nicht geht: Mit den meisten Mobiltelefonen lassen sich bereits Konferenzschaltungen organisieren.

Wie auch immer die technische Lösung aussieht: Das Prinzip ist immer, nicht one-to-one zu kommunizieren! So gut es eben geht, sollten immer Gespräche bzw. Kommunikation in der Gruppe hergestellt werden.

Das bedeutet auch, bei E-Mails auf die unbeliebte Funktion „Allen antworten“ zurückzugreifen. Informationen, die in der normalen Situation ihren Weg zum richtigen Empfänger auch informell erreicht hätten, gehen remote verloren. Wenn ihr nicht immer alle einbindet, lauft ihr schnell Gefahr, dass sich kleine Zellen bilden, die so arbeiten, wie sie es gerade für angemessen halten. Mit der Zeit werden daraus Lager, die aneinander vorbei arbeiten.

Diszipliniert kommunizieren

Manchmal ist es schon von Angesicht zu Angesicht schwer, alle gebührend zu Wort kommen zu lassen. Als Scrum Master solltet ihr nun ganz besonders darauf achten, dass alle gehört und jeder einbezogen wird. Das ist noch wichtiger, wenn man sich unter Umständen nur hört.

  • Trefft die Vereinbarung, dass ihr in den Meetings produktiv arbeiten wollt. Daher werden alle Ablenkungen bestmöglich ausgeblendet (z.B. kein Mail-Check oder sonstiges Multitasking).
  • Macht transparent, wer wann erreichbar ist bzw. konzentriert an etwas arbeiten möchte.
  • Ein oberstes Gebot ist nach wie vor: Meetings beginnen pünktlich. Checkt vor jedem Meeting, ob alle Teammitglieder erreichbar sind, oder ob es technische oder andere Probleme gibt.
  • Sprecht in den Remote-Meetings jedes Teammitglied einzeln an („Mike, willst du was sagen?“, „Kerstin, willst du was sagen?“), damit sich alle einbringen können und alle gehört werden.
  • Jedes Teammitglied gibt bewusst den “Stab” an das nächste weiter, nachdem er/sie alles gesagt hat: „Peter, jetzt bist du dran …“
  • Falls es zu längeren Pausen kommt, weil zum Beispiel jemand etwas aufschreibt: Sagt euch gegenseitig, warum es gerade still ist („Moment, ich notiere mir das schnell …“).

Lasst euch nicht beunruhigen, wenn das alles nicht gleich funktioniert. Das muss auch unter normalen Umständen erst gelernt werden.

Wenn ihr die technischen Möglichkeiten dafür habt, ist das Daily Standup noch immer das wichtigste Meeting und es sollte auch unter den aktuellen Umständen nicht ausfallen. Falls ihr kein Video- oder Telco-Daily machen könnt: Macht ein Daily Check-out. Jede/r schreibt – ohne ausschweifende Erklärungen und Begründungen – einfach auf, was heute erledigt wurde und was für den nächsten Tag geplant ist. Im Idealfall schreiben alle dieses Check-out und alle lesen die Check-outs von allen.

Stimmung schwingt selbstverständlich auch im geschriebenen Wort mit. Überlegt euch sorgfältig, wie ihr Nachrichten formuliert, denn oft führt ein kleines Wort zu einem Missverständnis. Solltet ihr bei Teammitgliedern eine nicht optimale schriftliche Kommunikation bemerken: Hakt mal nach und findet raus, woran es liegen könnte.

Diszipliniert verhalten – und nachsichtig sein

Viele müssen gerade nicht nur von zuhause arbeiten, sondern gleichzeitig ein Auge auf ihre Kinder haben. Manchmal findet man bei den neuen Tools die richtigen Buttons einfach nicht oder das Headset funktioniert nicht gleich. Und manchen fehlt überhaupt noch das Equipment, um ordentlich von zuhause arbeiten zu können.

Liebe Scrum Master, checkt die Situation jedes einzelnen Teammitglieds ab und stellt die individuelle Arbeitsfähigkeit so gut als möglich her. Geht im Team transparent damit um, unter welchen Voraussetzungen der einzelne Mensch in diesem Team gerade arbeiten muss. Zeigt euch eure Workspaces und lasst auch mal Raum für Spaß und Gespräche – unter Menschen.

Wie gesagt: Es ist eine Krise, betrachten wir sie auch als solche. Organisieren wir unsere Kommunikation entsprechend und beachten wir ein paar Regeln:

  • Es gibt Dailys
  • Wir stimmen uns ab
  • Wir machen eine Liste der Zuständigkeiten und Regeln (wenn es noch keine Notfallpläne gibt)
  • Informieren wir unsere Teams ehrlich, wie es weitergeht, was wir wissen und was wir noch nicht wissen. Verbundenheit und gegenseitige Unterstützung erreichen wir in dieser Situation nur mit Ehrlichkeit.

Das waren mal erste Tipps, damit ihr den Teamgeist auch in dieser schwierigen Lage aufrechterhalten könnt. Wir versuchen, euch in den nächsten Tagen auch noch spezifische Tipps für die einzelnen Scrum-Remote-Meetings zu geben.

Bitte nutzt auch unser Angebot: Stellt uns hier eure Fragen oder tretet mit uns auf unseren Social-Media-Kanälen in Kontakt, falls ihr gerade nicht wisst, wie ihr eure Teamarbeit organisieren sollt. Wir helfen euch gerne weiter!

 

Foto: pixabay license

Geschrieben von

Boris Gloger Boris Gloger Boris Gloger zählt als erster Certified Scrum Trainer weltweit zu den Scrum-Pionieren und ist ein Vordenker für neue Arbeitsformen. Er glaubt nicht nur an Scrum, weil es bessere Produkte in kürzerer Zeit hervorbringt, sondern auch, weil es den Arbeitsplatz in einen humaneren Ort verwandeln kann. Boris ist Unternehmensberater, Autor, Serial Entrepreneur und Keynote Speaker und zählt weltweit zu den Pionieren von Scrum und Agilität. Für ihn war „Agile“ immer mehr als reine Methodik: Als einer der Ersten hat er erkannt, dass in agilen Denk- und Arbeitsweisen die Kraft steckt, Organisationen von Grund auf neu auszurichten und dadurch fit für das 21. Jahrhundert zu machen. An seinen Ideen zu einem modernen, agilen Management orientieren sich heute viele nationale und internationale Unternehmen. Als Vater zweier Kinder hat Boris ein starkes Bedürfnis, in der Gesellschaft etwas positiv zu verändern. Deshalb engagiert er sich u. a. für eine radikale Umkehr des derzeitigen Bildungssystems, wie etwa mit dem erfolgreichen Pilotprojekt Scrum4Schools. Er ist fest davon überzeugt, dass Selbstorganisation und das Prinzip der Freiwilligkeit die besten Wege sind, um Ziele zu erreichen und ein eigenständiges Leben zu führen.

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