Selbstorganisation braucht Führung: Die glorreichen Sechs – Freiwilligkeit

Drittes Grundelement von agiler Selbstorganisation ist die Freiwilligkeit. Ein hohes Maß an Freiwilligkeit erzeugt intrinsische Motivation und hohes Engagement. Für die Performance eines selbstorganisierten Teams ist es eine, wenn nicht die entscheidende Antriebskraft. Allerdings ist Freiwilligkeit auch eine eigenwillige Erscheinung, die besondere Bedingungen braucht, um zu wirken. In unserem Zusammenhang kann man drei Arten von Freiwilligkeit unterscheiden:
„Erzwungene Freiwilligkeit“, die von den Betroffenen in der Regel als Zwang, Druck, d.h. als Unfreiwilligkeit erlebt wird, ist für das Thema Selbstorganisation nicht nützlich. Sie zeigt sich in der Regel in verschiedenen Formen von mehr oder weniger massiven Widerständen. Diese können aggressiv nach außen gerichtet sein, subversiv im Untergrund rumoren oder passiv im Form von Rückzug und Verweigerung auftreten. Erzwungene Freiwilligkeit kann im agilen Kontext nur als kurze Bedenkzeit akzeptiert werden und muss in der Regel zu einer Entscheidung im Sinne von Ja oder Nein zur selbstorganisierten Teamarbeit führen. Hier muss die Führung für Transparenz sorgen, um eine eindeutige Entscheidung zu ermöglichen und Mut zur Konsequenz aufbringen. Die Zusammenarbeit und Abstimmung von Management und lateralen Rollen ist hier wesentlich.
„Bedingte Freiwilligkeit“ heißt in der Regel, einverstanden zu sein, rationale Einsicht in die Notwendigkeit zu haben, ohne jedoch echtes Herzblut zu investieren. Handelt es sich um Einzelfälle im Team, kann die laterale Führung damit leben. Sie muss es jedoch als ihre Aufgabe sehen, mit dem/den Betroffenen weiter zu kommen, um eine höhere Stufe von Freiwilligkeit zu entwickeln. Auch hier gilt es, Zeit zu lassen, positive Erfahrungssituationen zu kreieren und z. B. in coachingorientierten Einzelgesprächen eine Entwicklung anzustoßen. Ein Team, in dem die bedingte Freiwilligkeit dominiert, kann und wird allerdings mittelfristig in selbstorganisierter Form nicht überleben bzw. nur mittelmäßige Leistungen erbringen können.
„Unbedingte Freiwilligkeit“ als dritte und hocherwünschte Form ist ein Überlebensmotor von Selbstorganisation jeder Couleur. Sie ist intrinsisch, ohne wenn und aber angelegt und erzeugt bei Einzelnen, aber auch beim Team als Ganzes den besonderen Flow zur High Performance. Ist ein hohes Maß an unbedingter Freiwilligkeit erreicht, kann die laterale Führung loslassen und sich im Schwerpunkt als Coach und Begleiter einbringen.
Für die Führung bedeutet das, die Teams Erfolge erleben zu lassen und aus einer gewissen Distanz als Beobachter und Impulsgeber zu fungieren. Unbedingte Freiwilligkeit hat mit Sinn und Verstehen (Rationalität, siehe “Sinn”) zu tun, sie hat jedoch auch eine hohe emotionale Komponente. An erster Stelle steht hier das Bedürfnis nach Anerkennung. Diese ist zweifellos ein Schlüsselelement im Führungshandeln und in verschiedenen Formen einzubringen.
Laterale Führung muss bewusst emotionale Situationen kreieren und/oder verstärken: Erfolge feiern, wahrnehmbare Highlights (mit)gestalten, kreative Visualisierungsmittel einsetzen – das alles fördert Freiwilligkeit nachhaltig. Wie bei allen starken Emotionen kann man durchaus von einem Ansteckungseffekt (leider auch bei negativen Emotionen) reden. Das heißt, gemeinsam erlebte Situationen mit einer starken positiven emotionalen Aufladung fördern die unbedingte Freiwilligkeit. Gezielte Arbeit am Teamgeist durch Teamentwicklung, sei es in Retrospektiven oder durch besondere Maßnahmen, fördert die unbedingte Freiwilligkeit und schafft Begeisterung, die wiederum den Flow für höchste Performance erzeugt.

Glaubwürdig sein

Begeisterung zu wecken, sowohl individuell als auch kollektiv, ist auch eine Führungsaufgabe. Man nehme sich ein Beispiel an erfolgreichen Trainern im Sport, ohne Namen zu nennen. Nur wenn das Feuer in der Führung selbst brennt, kann man es bei anderen entfachen. Wie sieht es also mit dem eigenen Begeisterungslevel aus – das sollten Führungsverantwortliche prüfen und reflektieren. Wenn ich wirklich begeistert bin, muss ich das glaubwürdig kommunizieren (Vorsicht: nicht missionieren!). Spüre man in sich selbst wenig Begeisterung, ist es wichtig, sich ehrlich nach den Hindernissen zu fragen und diese zu bearbeiten.
Im Führungshandeln muss klar erkennbar sein, dass der zentrale agile Wert, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und sich als System in erster Linie an den Mitarbeitern und nicht am Geld, sprich Gewinn zu orientieren, glaubhaft gelebt wird. Die moderne neurowissenschaftliche Forschung hat umfassend nachgewiesen, dass Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten die unbedingte Freiwilligkeit massiv fördern. Laterale Führung hat hier die Karten in der Hand und muss, wo nötig, die Gestaltungsräume der einzelnen und der Teams verteidigen und schützen.
Häufig behindern Impediments aller Art die unbedingte Freiwilligkeit und Begeisterung. Die Vertreterinnen und Vertreter der lateralen Führungsrollen müssen es daher unbedingt ernst nehmen, diese Impediment zu bearbeiten und aus der Welt zu schaffen. Transparenz durch ein lebendiges Impediment-Backlog und durch permanente Kommunikation mit dem Team über den Umgang mit Impediments sind dabei ein wesentliches Element.
 
Nachlesen?
Selbstorganisation braucht Führung: Die glorreichen Sechs – Sinn
Selbstorganisation braucht Führung: Die glorreichen Sechs – Struktur
 

Geschrieben von

bgloger-redakteur bgloger-redakteur

TEILE DIESEN BEITRAG

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.