Das Taskboard in der Eltern-Kind-Beziehung: Wie Post-its und ein einfaches Board die Selbstorganisation von Kindern fördern

Ein Interview mit Matthias Stache

Ich habe auf der Konferenz Agile Beyond IT in Berlin einen ehemaligen Kollegen von mir, Matthias Stache, wiedergetroffen. Voller Begeisterung hat er mir erzählt, dass er ein paar unserer Blogposts zu Scrum4Schools gelesen hat und ihn diese auf die Idee gebracht haben, mit seiner 12-jährigen Tochter mit einem Taskboard zu arbeiten. Und das mit großem Erfolg.

Matthias, was war der Grund, dass du mit deiner Tochter begonnen hast, mit einem Taskboard zu arbeiten?

Ich habe vor einigen Monaten festgestellt, dass meine Tochter und ich Schwierigkeiten darin hatten, unsere gemeinsamen Bedürfnisse im Umgang miteinander zu artikulieren. Als Elternteil finde ich mich häufig in der Situation wieder, dass ich spezielle Wünsche an unsere „Zusammenarbeit“ habe, die sich in Fragen äußern wie beispielsweise: „Wann werden die Hausaufgaben gemacht oder wie ordentlich soll das Zimmer und die Wohnung sein?“ Die traditionellen Werkzeuge, die mir als Elternteil zur Verfügung stehen (meckern, beschämen, drohen oder bestrafen), helfen nicht oder ich wollte diese nicht einsetzen.

Irgendwie habe ich mich dann daran erinnert, dass ihr Scrum im Bildungsbereich macht. Nachdem ich mir ein paar Blog-Artikel zu Scrum4Schools durchgelesen hatte, kam mir ein springender Gedanke: Als agiler Coach helfe ich doch tagtäglich anderen Menschen, eigenverantwortlich zu arbeiten. Warum mache ich das eigentlich nicht auch im privaten Kontext? Zum Beispiel mit einem einfachen Taskboard.

Wie hast du das Board bei dir zuhause eingeführt?

Ich habe meiner Tochter erstmal das Warum erklärt: „Ich habe den Eindruck, wir sollten mal etwas Neues ausprobieren. Ich habe da einen Vorschlag. Es gibt etwas, das bei meiner Arbeit sehr gut funktioniert.“ Im Folgenden habe ich mit ihr gemeinsam ein sehr einfaches Taskboard mit den drei Spalten To Do, In Arbeit und Erledigt aufgemalt. Ihre prompte Antwort war: „Eine To-do-Liste kenne ich schon.“

Selbstorganisation von Kindern

Wie lief die Arbeit mit dem Board anfänglich?

Da meine Tochter die klassische To-do-Liste schon kannte, war die anfängliche Arbeit total intuitiv. Wir haben uns im nächsten Schritt gemeinsam hingesetzt und überlegt, welche Dinge für sie in der kommenden Woche wichtig sind. Anfänglich haben wir uns nur auf den schulischen Kontext beschränkt.

Was mich total überrascht hat: Nach einer Woche kam sie zu mir und hat gesagt: „Papa, können wir noch eine weitere Spalte auf dem Board hinzufügen? Es gibt Aufgaben, wie beispielsweise das Lernen für den Geo-Test, an denen ich aktuell nicht arbeiten kann“. Wir haben dann eine weitere Spalte mit der Aufschrift Wartet eingefügt.

Habt ihr für eure „Zusammenarbeit“ feste Rituale gefunden?

Ja, das haben wir tatsächlich. Es hat sich sehr natürlich ergeben. Wir setzen uns jeden Sonntagabend gemeinsam an ihren Schreibtisch und überlegen, welche Aufgaben für die kommende Woche wichtig sind – und schreiben diese auf Post-its.

Jeden Tag schaut meine Tochter auf das Board und hängt die fertigen Aufgaben in die Spalte Erledigt. Da ich beruflich unter der Woche viel unterwegs bin, schickt sie mir jeden Abend ein Bild davon und wir sprechen am Telefon darüber, was sie geschafft hat und bei welchen Dingen sie Unterstützung benötigt.

Bevor wir am nächsten Sonntag gemeinsam auf die darauffolgende Woche schauen, sprechen wir darüber, was in der vergangenen Woche gut lief und was sie oder auch ich in der kommenden Woche besser machen kann.

Versuchst du Einfluss darauf zu nehmen, welche Themen auf das Board kommen?

Das habe ich am Anfang versucht. Ich dachte, ich bin clever und schreibe einfach noch einen Zettel mit dem Task „Zimmer aufräumen“ für die Woche mit dazu. Darauf kam dann aber ganz prompt die Antwort: „Nein, das will ich nicht. Das ist nicht so wichtig wie das Lernen für den Mathe-Test.“

Die Themen, die auf das Board kommen, finden wir in der Regel gemeinsam im Gespräch und sie ergeben sich aus dem, was in der nächsten Schulwoche ansteht.

Musstest du deine Tochter schon mal daran erinnern, wieder auf das Board zu schauen?

Ganz selten. Eher das Gegenteil ist der Fall. Die Arbeit mit dem Board ist für sie total motivierend. An einem Sonntag hat sie mir gesagt: „Papa, was mich richtig stolz macht, ist, wenn ich einen Zettel unter die Spalte Erledigt hängen kann. Und das Gefühl ist noch stärker, wenn ich den Aufgabenzettel selbst geschrieben habe“.

Das hat nach gut zwei Monaten auch dazu geführt, dass meine Tochter unsere sonntägliche Wochenplanung mittlerweile auch manchmal alleine macht und ich gar nicht mehr mit dabei sein muss.

Habt ihr das Board nur auf schulische Themen beschränkt?

Für den Start ja. Der anfängliche Versuch, meine Tochter dazu zu bewegen, ihr Zimmer aufzuräumen, hatte sie wenig überzeugt. Ich habe sie dann aber irgendwann mal gefragt: „Gibt es neben dem Lernen noch etwas, was dir wichtig ist?“ Darauf kam die Antwort, dass sie es total schön finde, am Sonntagmorgen aus ihrem Zimmer in eine aufgeräumte Küche zu kommen. Ich habe sie daraufhin gefragt, was sie dazu beitragen könnte. Wir sind dann gemeinsam auf die Idee gekommen, dass sie uns helfen könnte, die Geschirrspülmaschine auszuräumen. Sie hat sich dann zwei Post-its mit dem Task “Geschirrspülmaschine ausräumen” geschrieben und ist mit dem Plan in die Woche gestartet, mindestens zweimal die Maschine auszuräumen.

Hast du eine Entwicklung bei deiner Tochter feststellen können?

Wir haben vor ca. drei Monaten damit angefangen. In dieser Zeit hat sich bei meiner Tochter tatsächlich etwas verändert. Wie die meisten Kinder ist sie nicht das ordentlichste Kind. Das ist sie bis heute auch nicht geworden. Aber was wir bemerkt haben: Sie übernimmt von sich aus mehr Verantwortung für die Ordnung in ihrem Zimmer. Zuvor hat sie es nie geschafft, über einen längeren Zeitraum Ordnung zu halten.

Vor rund vier Wochen kam sie zu mir und hat gesagt: „Papa, hilf mir!“ Wir haben uns dann an einem Sonntag hingesetzt und viele Zettel geschrieben, was sie in ihrem Zimmer aufräumen kann. Auf den Zetteln stand beispielsweise:

  • Wenn ich am Schreibtisch sitze, möchte ich einen klaren Arbeitsbereich haben.
  • An meinem Schreibtisch möchte ich einen fixen Bereich haben, in dem meine Schminksachen stehen.
  • Ich möchte meine Kleidung selbst ordnen können.

Das haben wir dann zum Anlass genommen, um ihr Zimmer etwas umzugestalten. Sie hat sich selbstständig zwei Bereiche auf ihrem recht langen Schreibtisch eingerichtet, an denen sie arbeiten und sich schminken kann.

Ihren Wunsch nach dem selbstständigen Ordnen der Kleider haben wir auch umgesetzt. Wir haben ihren großen Kleiderschrank, den sie ohnehin wenig genutzt hatte, aus dem Zimmer gestellt und durch eine kleine Kommode ersetzt, die sie selbst überblicken und ordnen kann.

Was freut dich an der Entwicklung?

Was mich total begeistert, ist, dass sie einen Weg gefunden hat, nicht mehr hilflos alleine vor einem Berg an Dingen zu stehen – sei es in ihrem Zimmer oder in der Schule. Mithilfe des einfachen Boards und der Post-its kann sie größere und komplexere Aufgaben für sich selbst herunterbrechen und überschaubar machen. Sie ist nicht mehr so schnell überfordert und fragt nach Hilfe. Sie versucht, sich erst einmal selbst zu strukturieren.

Was in unserem Fall geholfen hat, war es, das Ganze als Einladung auszusprechen und auch so zu meinen. Freiwilligkeit ist ein wichtiges Prinzip und ich kann nur jedem empfehlen, das auch einmal mit seinen eigenen Kindern auszuprobieren.

Matthias Stache

Fotos: (c) Matthias Stache
Titelbild: (c) Kelly Sikkema on Unsplash

Geschrieben von

Carsten Rasche Carsten Rasche Seine ersten Erfahrungen mit userzentrierter Produktentwicklung, mit Scrum und Agile hat Carsten Rasche direkt im Silicon Valley gesammelt. Den Arbeitspsychologen fasziniert natürlich, wie sich die konsequente Ausrichtung an den Bedürfnissen der Kund:innen auf die interne Organisation eines Unternehmens auswirkt. Im Zuge von Transformationsprojekten liegt seine Expertise im Bereich Organizational Learning & Coaching von Führungsteams. Neben Kundenprojekten hat Carsten die Initiative Scrum4Schools aufgebaut, welche die Anwendung von Scrum in Bildungseinrichtungen unterstützt. Als ausgebildeter Mediator bringt Carsten Rasche die Fähigkeit ein, in angespannten und komplexen Situationen die Ruhe zu bewahren, nüchtern zu analysieren und dadurch größere Klarheit zu schaffen. Wichtig ist ihm dabei, offen und wertschätzend auf Menschen zuzugehen und eine tragfähige Vertrauensbasis zu schaffen.

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