Die Rolle des ScrumMasters wird gerne schnell auf die des Moderators und des Organisators reduziert. Das ist schön greifbar und man hat die Erfahrung, dass solche Aufgaben wichtig sind und somit ihre Daseinsbereichtigung haben. ScrumMaster zu sein ist allerdings mehr als das. Es ist eine moderne Art der Führung, ohne disziplinarisch vorgesetzt zu sein. Die Kombination mit der Führung eines selbstorganisierten Teams wirft daher schon lange Fragen auf wie:
- „How does one lead others who are supposed to lead themselves?“ (vgl. Stewart/Manz, 1995, S. 750.) oder
- „If self-managing teams are truly self-managing, then why should an external leader be required?“ (Manz /Sims , 1987, S. 106)
Solche Fragen tauchen nicht nur in Scrum auf, sondern begleiten die Forschung und Praxis selbstorganisierter Teams seit jeher. Schon 1986 versuchten sich Manz/Sims in ihrem Artikel “Leading Self-managed Groups: a Concept Analysis of a Paradox” an einer integrativen Perspektive zur Führungsrolle in selbstorganisierten Teams. Dabei fassen sie auf Grundlage der sozio-technischen Systemtheorie und der sozial-kognitiven Lerntheorie das im Folgenden beschriebene Führungsverhalten zusammen. Da mir beim Lesen und Zusammenstellen vieles doch sehr bekannt vorkam, werde ich einfach die entsprechende Scrum-Sicht der Dinge ergänzen. In diesem Blog die gruppeninternen Aufgaben (direkt auf die Gruppe bezogen) und beim nächsten Mal die Aufgaben/Verhalten an der Grenze von der Gruppe zur Organisation.
Obwohl es in der Darstellung nicht explizit benannt wird, betrachten Manz/Sims (1986, S. 147) externes Führungsverhalten. Vielleicht hilft die Aufstellung dem einen oder anderen bei der Argumentation, warum wirklich ein ScrumMaster pro Team bzw. nur ein Team pro ScrumMaster drin ist!
Aufgaben Teamleitung eines selbstorganisierten Teams nach Manz/Sims | Aufgaben des ScrumMasters |
Mit dem allgemeinen Ziel, die Leistung des Teams zu steigern, sorgt der externe Teamleiter für die Förderung, Ver- und Bestärkung (und ggf. Unterstützung), nicht Durchführung oder Anleitung der Gruppe (vgl. Manz/Sims, 1986, S. 148f., 150f. ): |
Der ScrumMaster beschützt das Team vor externen Unterbrechungen und Störungen. Er hilft Probleme zu beseitigen, verbessert die Produktivität des Teams, treibt „inspect and adapt“ Zyklen voran. Er ist Moderator und lateraler – d.h. nicht weisungsbefugter – Leiter des Teams. Er arbeitet mit dem Product Owner, um die Rentabilität von Investitionen ins Produkt zu maximieren. Er stellt sicher, dass agile Prinzipien und Ideale verstanden und organisationsweit respektiert werden. Aber: Er ist nicht verantwortlich für die Lieferung des Produkts.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Um diese Verhaltensweisen (SLT, gruppenintern) in Teams zu fördern, raten Manz/Sims (13 – S. 152) dem externen Teamleiter zu
|
Ich finde es immer wieder faszinierend, wie viel in der ScrumMaster Rolle untergebracht ist und wie oft die Organisationen dennoch an ihrer Berechtigung zweifeln. Ein guter ScrumMaster zu sein ist verdammt schwer und mit Sicherheit kann man all diese Punkte nicht von der ersten Stunde an abdecken. Aber wenn man gleich nach einer eventuellen ersten Schonfrist neben dem einen Team noch ein oder zwei weitere aufgebrummt bekommt, nimmt man sich (die Organisation sich selbst) die Möglichkeit zu lernen, zu wachsen und den Nährboden für richtig gute ScrumMaster !!!
Quellen
Manz, C. & Sims, H. (1986): Leading Self-managed Groups: a Conceptual Analysis of a Paradox, Economic and Industrial Democracy Vol. 7, S. 141-164.
Gloger, B. (2012): Scrum Checklist.
2 Antworten zu “Führung selbstorganisierter Teams – alte Theorie vs. Scrum”
Gratulation! Das ist eine sehr schöne Illustration dafür, weshalb “Scrum” und “agil” von vielen Leuten mit langjähriger Führungs- / Projekttmanagement- und Entwicklungserfahrung als “allter Wein in neue Schläuche” und bei seiner “evangelisierenden” Verkündung als ziemlich “religiös” (O-Ton eines Feedbacks zu einer kürzlich in Zürich durchgeführten SM-Schulung). Eine klare Bezugnahme auf derartige Wurzeln (inkl. Tom Gilb und Barry Böhm) würden hier “entspannend” wirken….
Diesen Satz allerdings: ” Es ist eine moderne Art der Führung, ohne disziplinarisch vorgesetzt zu sein.” möchte ich anzweifeln. Das disziplinarische Führung ein Gegensatz zur modernen Art der Führung möchte ich anzweifeln. Für mich ist er eher Ausdruck der aktuell schwindenden Bereitschaft, Führungsverantwortung zu übernehmen bzw. Führung zu akzeptieren.
Und dass ein Teamleiter mit disziplinarischer Führungsverantwortung die Selbstorganisation des Teams verhindert ist Ausdruck einer spezifischen auf „hire and fire“ und einer von detailliertem „command and control“ geprägten Führungskultur. Sie ist sicher nicht für alle Unternehmen generalisierbar.
Das Dilemma des ScrumMasters als „dienende“, jedoch nicht disziplinarische, Führungskraft ist gut beschrieben beschrieben im Kapitel 4 von [Gloger, Boris; Häusling, André: Erfolgreich mit Scrum – Einflussfaktor Personalmanagement. München: Carl Hanser, 2011] :
„Der ScrumMaster muss die Leistung der einzelnen Teammitglieder zwar erkennen und erfassen, er sollte der disziplinarischen Führungskraft aber nicht auf direktem Wege eine Rückmeldung darüber geben, weil er eine neutrale Instanz ist. … Der ScrumMaster [soll] dem Einzelnen kein direktes Leistungsfeedback geben. Der einzig gangbare Weg für den ScrumMaster, auf die Bedürfnisse des Einzelnen im täglichen Arbeitsprozess einzugehen, führt daher über die Teamkultur … Er muss das Team dahin entwickeln (z. B. in den Reviews), dass sich die Mitglieder gegenseitig Anerkennung zollen.“
Da wäre es ja besser und insbesondere transparenter, wenn es in jedem dieser Teams einen eng mit dem Team zusammenarbeitenden Teamleiter gäbe, der auch die Rolle des ScrumMasters erfüllt!
Unter „Führungskraft“ verstehe ich hier nicht den die Details der Arbeiten planenden, zuweisenden und kontrollierenden „Hierarchen“, sondern einen den Rahmen der Teamarbeit setzenden und schützenden und die Teammitglieder individuell fördernden „Servant Leader“ [The Robert K. Greenleaf Center, Inc.: What Is Servant Leadership?. Online verfügbar unter: http://www.greenleaf.org/whatissl/%5D oder „Gastgeber“[Wheatley, Margaret; Frieze, Debbie: Leadership in the Age of Complexity – From Hero to Host. Resurgence Magazine, Winter 2011, online verfügbar unter: http://www.margaretwheatley.com/articles/Leadership-in-Age-of-Complexity.pdf%5D, der seine Verantwortung mit der auf den Unternehmenskontext übertragenen „Soft/Smart Power“ [Nye jr, Joseph S.: Soft Power. Online verfügbar in: http://de.wikipedia.org/wiki/Soft_Power und http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Nye%5D wahrnimmt.
Toller Artikel. Die Frage, inwieweit man als Scrum Master in die Abläufe des selbst-organisierenden Entwicklungsteams eingreift, finde ich vor allem immer wieder an den Rändern des Scrum-Prozesses sehr herausfordernd. Ist es bspw. Aufgabe des Scrum Masters Schwächen und Risiken des Entwicklungsprozesses abzustellen, auch wenn das Team sich gut mit diesen Schwächen eingerichtet / abgefunden hat?
Mir fehlen da griffige Kriterien, anhand dessen man als Scrum Master gut abwägen kann, wann man Probleme und mögliche Lösungen ansprechen sollte bzw. wann man das Realisieren des Problems und die Erarbeitung der Lösung dem Team überlässt. Der Verweis auf den jeweiligen Kontext und auch auf die erforderliche Erfahrung (z.B. durch Zuzug eines Coaches) ist da im Alltag oft ein schwacher Trost.