So profitieren neue Geschäftsmodelle von neuem Organisationsdesign

Veränderte Marktbedingungen konditionieren in der Regel ein verändertes Organisationsdesign von Unternehmen, da sie neue Herausforderungen für diese erzeugen. Diesen Mechanismus habe ich im Blogpost „Darum erfordern neue Marktbedingungen im Handel ein neues Organisationsdesign“ aufgezeigt.  

Veränderte Marktbedingungen fallen allerdings nicht einfach so vom Himmel. Sie werden unter anderem von veränderten Geschäftsmodellen der Handelsorganisationen konditioniert. Eine Handelsorganisation bedient Märkte anders als bislang und sehr schnell verändern sich auf dieser Basis Wünsche und Bedürfnisse der Kunden, denen sich dann alle anderen Marktteilnehmer nicht verschließen können. „Same Day Delivery“, was Amazon als erstes propagiert und umgesetzt hat, ist an dieser Stelle als Beispiel zu nennen. 

Schauen wir uns einmal chronologisch die Geschäftsmodelle im Handel seit Mitte des letzten Jahrhunderts an. 

  1. Bis in die 70-iger Jahre des letzten Jahrhunderts waren die so genannten „Tante-Emma-Läden“ favorisiert. Das Einkaufen war geprägt von einer Mensch-zu-Mensch Interaktion, wo Kunden bedient werden wollten. Ein kleiner Schnack sollte dabei auch noch drin sein. 
  1. Dann sind die Discounter in Mode gekommen. Dieses Geschäftsmodell war u.a. davon geprägt, dass sich Kunden nun selbst bedienen, durch die Regalreihen schlendernd Produkte in die Körbe legen, sich an der Kasse anstellen und bezahlen mussten. Aldi und Lidl waren hier in Deutschland die Vorreiter. 
  1. Parallel dazu wurden die Vollsortimenter, wie OTTO, Neckermann oder Quelle erfolgreich, die in der Regel 2-mal im Jahr ihre großen Kataloge versendet haben, damit Menschen sich diese Produkte aussuchen und per Telefon oder per Post bestellen konnten. 
  1. Mit der Digitalisierung wurden genau diese Kataloge immer irrelevanter. Nun gab es Onlineshops, wo man ebenfalls „auf der Couch sitzend“ einkaufen konnte, jedoch wurden die Angebote nicht nur 2-mal jährlich angepasst und aktualisiert, sondern viel frequentierter. Hier haben vor allem Technologieunternehmen wie Amazon oder Zalando diese Vollsortimenter unter Stress gesetzt, da sie mit ihrer Technologiekompetenz die Händlerkompetenz dieser absorbiert haben. 
  1. Der nächste Schritt stand dann unter dem Zeichen der Mitigation des Bestandrisikos. Denn als Handelsorganisation musste man ja immer noch das richtige Gespür dafür haben, welche Produkte wo in einem bestimmten Zeitraum gut verkauft werden können, da man sonst auf diesen Beständen „sitzen bleiben würde“. Hier kam dann das Plattform Geschäftsmodell in die Welt. Amazon war hier u.a. Vorreiter und hat die Angebots- und Nachfrageseite über einen Marktplatz verbunden. Die Anbieter von Produkten profitierten von der Reichweite Amazons und die Nachfrager von der reichen Produktauswahl auf dem Marktplatz. Plattformanbieter wurden unter anderem das Bestandsrisiko los. 
  1. Nun stehen wir meines Erachtens vor einem nächsten bedeutenden Schritt. Denn wenn man sich Amazon mal anschaut, entwickelte es sich bereits vor ein paar Jahren über das Vertreiben von Amazon Webservices (AWS) immer mehr zum Technologieranbieter, hat also einen komplett neuen Markt betreten. Auch die Entscheidung Logistik zu internalisieren ist wohl der erste Schritt dahin in ein paar Jahren diese Dienstleistung auch extern anzubieten und damit die herkömmlichen Logistikanbieter unter Stress zu setzen. 

Das Ändern von Geschäftsmodellen ist häufig mit einem hohen Risiko verbunden, zum einen weil das derzeitige Geschäftsmodell, mit dem immer noch Geld verdient wird, konterkariert werden könnte, und zum anderen, weil das neue Geschäftsmodell nicht trägt und Investitionen in diesem Kontext ins Leere laufen.  

Amazon hat es vorgemacht, wie auch in diesem Kontext ein Risiko fehlgeleiteter Geschäftsmodelle mitigiert werden kann. Das wird nun an einem konkreten Beispiel mithilfe des Denkwerkzeuges Wardley Map dargelegt. 

Wardley Maps sind grafische Hilfsmittel, um die Genese von Produkten, Produktportfolios, aber auch von Wertschöpfungsketten sowie Organisationsstrukturen zu visualisieren. Innerhalb eines Koordinatensystems werden die zu betrachtenden Komponenten nach zwei Dimensionen angeordnet: 

  1. Auf der y-Achse erfolgt die Anordnung anhand der Sichtbarkeit und Relevanz für externe Kunden und Nutzer in Märkten. 
  1. Auf der x-Achse werden die zu betrachtenden Komponenten (Produkte, Produktportfolios, Services, Geschäftsmodelle, Organisationsstrukturen etc.) mit Blick auf deren Evolutionsstufe platziert. 

Wie lässt sich solch eine Wardley Map nun lesen? 

In der Regel entstehen neue Komponenten links unten, unsichtbar für Märkte und in der geringsten Evolutionsstufe. Dann werden diese Ideen immer weiter zur Reife getrieben, bleiben aber weiterhin unsichtbar für Märkte. In diesem Sinne werden diese Komponenten ausschließlich intern in einer Organisation genutzt, um damit bestehende Geschäftsmodelle besser exekutieren zu können.

Ab der Evolutionsstufe „Ware“ kann man sich dann die Frage beantworten, ob mit dieser speziellen Komponente Geld verdient werden, ob diese also einen Nutzen für andere Organisationen stiftet. In diesem Fall wird dann die Komponente zu einem Produkt mit möglichen inkludierten Services, die den Märkten angeboten werden.  
 
Warum mitigiert diese Art des Denkens und Vorgehens Risiko von fehlgeleiteten Innovationen? Die Komponenten wurden nicht umsonst erstellt. Sie sind ja notwendig, um das eigene Geschäftsmodell zu exekutieren. Eine Entscheidung, diese Komponenten in Märkte anzubieten, ist damit nicht so kostspielig und kann bei Nichterfolg schnell korrigiert werden. 

Spielen wir dieses Mapping mal an einem konkreten Szenario durch, welches Amazon in meinen Augen gerade durchläuft. 

Gestartet ist Amazon als Handelsorganisation. Sie haben am Anfang Bücher verkauft und sind dann nach und nach in weitere Sortimente vorgedrungen. Wichtiger Bestandteil der Wertschöpfungskette einer Handelsorganisation ist die Logistik, da ja die Ware am besten schnell und in hoher Qualität zu Kunden gelangen muss. Da Amazon dieser Teil der Wertschöpfungskette so wichtig war und darüber auch einen USP gestalten wollte, gerade im Hinblick auf Same Day Delivery, wurde die Logistik internalisiert und wird nun nach und nach zu einer vollendeten Reife gebracht. 

 
Ich bin mir sicher, und dabei eine kleine Wette in die Zukunft. Ab einem bestimmten Reifegrad wird Amazon Logistik an Märkten anbieten und damit zur Konkurrenz für herkömmliche Logistikanbieter werden. Für diesen speziellen Case ist unten die Wardley Map zu sehen.  

Nach einem ähnlichen Muster wurde Amazon Web Services (AWS) als Produkt an Märkte gebracht. Amazon benötigte diese technologische Lösung intern zum Exekutieren ihres Geschäftsmodells. Es wurde in diesem Sinne immer reifer. Da andere Handelsorganisationen einen ähnlichen Bedarf an einer solchen technologischen Lösung haben, wurde AWS als Produkt an Märkte platziert, mit dem Amazon nun Geld verdient. In diesem Sinne haben sie sich von einer Handelsorganisation zu einem Technologieanbieter gewandelt. 

Das mit diesen hier dargestellten Transformationen von Geschäftsmodellen auch andere Skills, sowie andere Strukturen und Prozesse, aber auch andere Führungs- und Arbeitsmodelle, notwendig werden, da die Wertschöpfung auf einmal eine andere wird, ist naheliegend. Und damit ist der Einfluss auf Organisationsdesign vorhanden, denn ohne angepasstes Organisationsdesign wird ein Exekutieren der neuen Geschäftsmodelle unmöglich. 

Bildquelle Header:  Brooke Lark auf Unsplash

Change
Retail
Conny Dethloff
June 19, 2023

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