Warum viele jetzt Plattformen bauen – Unternehmen NEU denken #3

Ein Taxi-Unternehmen, das keine Autos besitzt? Ein Medium, das selbst keinen Content produziert? Eine „Hotelkette”, die kein einziges eigenes Gebäude hat? Was vor einigen Jahren noch undenkbar war, ist heute ganz normal. Und obwohl ich noch gar keine Namen genannt habe, werden Sie bestimmt erraten, welche Unternehmen ich meine.

In den letzten Jahren ist Plattform-Business en vogue geworden. Was genau dahinter steckt und warum diese Art von Geschäftsmodellen eine passfähige Antwort auf eine steigende Marktdynamik ist, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Vom Verkäufer- zum Käufermarkt

Um die Zusammenhänge zu verstehen, lohnt sich der Blick auf die Entwicklung des Marktes in den letzten Jahrzehnten. Dabei hilft uns die im Folgenden dargestellte Taylor-Wanne, die von Gerhard Wohland entwickelt wurde.

Die meisten unserer Erkenntnisse aus der Betriebswirtschaftslehre sind in Phase II entstanden (Taylorismus), in der ein global ungesättigter Markt vorherrschend war. Das betrifft auch die Vorstellung, wie Unternehmen strukturiert und organisiert werden sollten. Der Markt wies zu dieser Zeit aber Charakteristika auf, die heute zumindest zu hinterfragen sind. Dabei ist es wichtig, zu verstehen, dass Kund:innen oder Käufer:innen in dieser Phase relativ wenige Möglichkeiten hatten, Produkte zu erwerben.

Nehmen Sie etwa das Beispiel des Kleidungskaufs. Dafür gab es die Verkaufsstätten in der Nähe des Wohnortes oder eben Kataloge von einigen wenigen Anbietern wie OTTO, Neckermann und Quelle. Die Händler haben sich auf die vorherrschenden Marktgegebenheiten eingestellt. Es schien klar, was zu tun war. Es musste eben nur kostengünstig und schnell erfolgen.

Dadurch ist die Idee entstanden, Spezialist:innen, also Einkäufer:innen, Vertriebsmitarbeiter:innen, Logistiker:innen etc. in separaten Expertiseteams zu verorten. So wurde der Optionsraum der Unternehmen und damit die Komplexität ebenfalls minimiert. Der Markt selbst musste nicht oft erkundet werden, weshalb wir aus heutiger Perspektive von einem Verkäufermarkt sprechen können. Sie erkennen das an den zwei Kurven in der obigen Abbildung, die beide unten angesiedelt sind.

Neue Technologien, neue Herausforderungen

Mit der Weiterentwicklung der Technologie vergrößerte sich der Optionsraum der Käufer:innen. Der Markt blieb global, wurde aber aus Sicht der Verkäufer:innen gesättigter. Kund:innen konnten und können jetzt nicht nur in einem größer werdenden vernetzten Raum – Stichwort Onlineshops – konsumieren. Sie haben nun auch die Möglichkeit, zum Beispiel Rezensionen zu Händler:innen und Produkten zu schreiben, die andere Käufer:innen in ihren Entscheidungen beeinflussen.

Die Unternehmen stehen also vor der Herausforderung, dass viel häufiger ein Wahrnehmen und Erkunden des Marktes nötig ist. Dem kann eine Organisation, die in der zweiten Phase entwickelt wurde, oft schwer Rechnung tragen. Statt nur um Effizienz („die Dinge RICHTIG tun“) geht es plötzlich auch vermehrt um Effektivität („die RICHTIGEN Dinge tun”).

Aufgrund der steigenden Dynamik des Marktes ist heute immer weniger klar, was der Markt will und wie das Unternehmen mit seinen Angeboten Geld verdienen kann. Auch die Halbwertszeit von passfähigen Angeboten wird immer geringer.

Wie funktioniert Plattform-Ökonomie?

Für die Lösung der angesprochenen Herausforderungen ist ein neuer Typ von Geschäftsmodellen entstanden: das Plattform-Business. Der selbstverstärkende Kreislauf in der folgenden Abbildung stellt die Mechanismen von Plattformen anschaulich dar.

Umso bessere Produkte und Services auf der B2C-Seite angeboten werden, desto größer wird die Bindung der Kund:innen an die Plattform. Das führt in weiterer Folge dazu, dass die Menschen öfter wiederkommen, um erneut einzukaufen (Frequenz).

Diese Dynamik erhöht auch auf der B2B-Seite die Attraktivität, mit dem eigenen Produkt- und Serviceangebot auf der Plattform präsent zu sein. Dadurch nutzen immer mehr Anbieter:innen die Plattform, was letztendlich über Skalierungseffekte zu sinkenden Kosten und steigendem Umsatz führt.

Der höhere Umsatz bewirkt wiederum, dass noch mehr Produkte und Services auf der Plattform angeboten werden. Und so verstärkt sich dieser Kreislauf kontinuierlich selbst. Eine Art Win-Win-Win-Situation – für die Plattform selbst, die Kund:innen (B2C) und die Anbieter (B2B).

Komplexität lässt sich „auslagern“

Ein weiterer Vorteil, der oft zu wenig Beachtung findet: Die Betreiber:innen von Plattformen lagern Komplexität in den Markt aus. Was ist damit gemeint?

Da sich der Markt vom Verkäufer- zum Käufermarkt gewandelt hat, wird es immer schwieriger, die richtigen Angebote für den Markt bereitzustellen. Damit steigt auch das Risiko einer sich ändernden Nachfrage und eines damit einhergehenden Umsatzrückgangs. Ein Plattform-Business lagert dieses Risiko und auch die Komplexität an die Anbieter:innen aus, welche die Plattform nutzen. Unternehmen, von denen Produkte zum Weiterverkauf bisher erst gekauft werden mussten, werden nun zu direkten Anbieter:innen auf der Plattform. Für diese wird das Risiko zwar größer, allerdings haben sie gleichzeitig den Vorteil, dass sich durch die Nutzung der Plattform auch die Reichweite erhöht.

Nehmen wir das Beispiel Amazon

Amazon startete als Händler und musste immer die richtigen Produkte auf Lager haben, um diese dem Markt anbieten zu können. Durch den Aufbau einer Plattform hat Amazon das damit einhergehende Risiko ausgelagert. Es liegt jetzt bei den Anbieter:innen, die ihre Produkte über Amazon verkaufen. Dafür erreichen diese Händler:innen nun mehr potenzielle Kund:innen durch die Nutzung der Plattform.


Den Vorteil dieser Vorgangsweisen haben auch andere Unternehmen erkannt. Beispiele weiterer Plattformen sind:

  • Uber: das eingangs genannte Taxi-Unternehmen ohne Autos.
  • Airbnb: das Beherbergungs-Unternehmen, das keine eigenen Gebäude besitzt.
  • Facebook: der Medienanbieter, der selbst keinen Content produziert.
  • Instagram: das Unternehmen, das Bilder publiziert, aber selbst keine macht.
  • Netflix: das Unternehmen, das ein Fernsehnetz bietet, aber keine Kabel verlegt.

Was „Auslagern“ von Komplexität mit Handlungsvarietät zu tun hat

Auf das Auslagern von Komplexität in den Markt möchte ich noch einmal genauer zu sprechen kommen. William Ross Ashby, ein ehemaliger britischer Universalwissenschaftler, hat im nach ihm benannten Gesetz der erforderlichen Varietät Folgendes festgehalten:

Ein System, welches ein anderes steuert, kann umso mehr Störungen in dem Steuerungsprozess ausgleichen, je größer seine Handlungsvarietät ist. Eine andere Formulierung lautet: Je größer die Varietät eines Systems ist, desto mehr kann es die Varietät seiner Umwelt durch Steuerung vermindern.

Daraus kann man ableiten: Je größer die Handlungsvarietät (Handlungsspielraum) des Marktes, desto größer sollte auch die Handlungsvarietät in dem Unternehmen werden, das in diesem Markt agiert. Unternehmen, die eine erfolgreiche Plattform betreiben, reduzieren die Komplexität ihres Marktes, was dazu führt, dass sie auch intern Komplexität abbauen.

Die in meinen Augen sehr wichtige, aber oft nicht ausreichend beantwortete Frage, die sich Unternehmen stellen sollten, lautet: Wie bleiben Sie im Wettlauf mit der Komplexität im Spiel?

Weiterführende Anregungen dazu finden Sie in diesem Beitrag von mir.

Die Reihe: Unternehmen NEU denken

Transformation, warum gerade jetzt? Unternehmen NEU denken #1

Warum ich Engpässe liebe! Unternehmen NEU denken #2

Warum viele jetzt Plattformen bauen – Unternehmen NEU denken #3

Titelbild: Paul Hanaoka, Unsplash

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Innovation
Transformation
Conny Dethloff
December 13, 2021

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