Transformationskrisen überwinden: Erfolgstipps der Consultants

Agilität ist hip – bis der Realitätsschock kommt. Dann heißt es plötzlich: Agile funktioniert gar nicht. Lasst es mich gleich vorwegnehmen: Eine agile Transformation ist für alle Beteiligten und Betroffenen anstrengend. Denn im besten Fall krempelt ihr eure ganze Organisation, die Art, wie ihr miteinander arbeitet, und euer eigenes Denken um. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen – aber trotzdem gibt es einen Lichtblick am Ende des Tunnels. Um genau diese Lichtblicke geht es in diesem Podcast.

Wenn eine Transformation ins Stocken gerät, dann sind das in der Regel die Momente, in denen wir hinzugezogen werden. Ich habe drei Kolleg:innen nach ihren Tipps und Tricks gefragt, um Transformationskrisen zu überwinden.

„Vor ein paar Jahren glaubte man noch, wenn wir es schaffen, dass die Teams mit Scrum arbeiten, dann haben wir gewonnen. Das brachte tatsächlich große Produktivitätssprünge. Mittlerweile merkt man, dass das nicht reicht und beginnt, auch rund um die Teams herum Agilität aufzubauen, also einen Rahmen für sie zu schaffen.“

Christoph Schmiedinger über die agile Transformation

1. Agile Boxenstopps einlegen – von Ssonja Peter

Das Wichtigste, das bei einer Transformation passiert, ist, dass die Organisation lernt. Am deutlichsten zu sehen ist das an den Praktiken und Artefakten, also an allem Methodischen: Taskboards aufhängen, ScrumMaster ernennen, Plannings durchführen usw. Die Organisation lernt noch etwas Zweites, nur merkt sie das weniger stark, weil es die Kultur betrifft: Führungskräfte fangen an, Entscheidungen abzugeben, sich zurückzunehmen und auch mal Anspannung auszuhalten.

So weit so agil. Was aber, wenn sich eine Verunsicherung oder einfach der Schlendrian einschleicht, wenn die Mitarbeitenden auf unbekannte Situationen stoßen oder die Jahresziele und die Art, Ziele festzulegen, nicht zum agilen Arbeiten passen? Die sichtbaren Praktiken und Artefakte wirken nur bedingt dagegen, sie erinnern zwar daran, dass „anders“ gearbeitet werden soll, aber wenn ein:e Mitarbeiter:in nicht weiß: „Soll ich links oder rechts gehen?“, wird er oder sie im Zweifel lieber gar nichts machen. Die Gefahr: Die Führungskräfte treffen wieder alle Entscheidungen allein, die Mitarbeitenden fallen ebenso zurück in alte Muster und die Organisation wird das, was sie gelernt hat, wieder verlernen.

Damit es gar nicht so weit kommt und um die Richtung für alle immer wieder klar zu vereinbaren, mache ich bei meinen Transformationsberatungen gerne Boxenstopps – mit Fokus auf das Gelernte. Alle zwei Monate bis einmal im Quartal kommen wir (z. B. die Dev-Teams, Abteilungen, Führungskräfteteams gemeinsam mit uns Berater:innen) in einer Mischung aus Review und Retro zusammen und schauen uns an:

  • Was haben wir geliefert?
  • Was war gut?
  • Was können wir verbessern?

Aus meiner externen Sicht gebe ich Empfehlungen für die nächsten Schritte der Weiterentwicklung. Die Teams und Führungskräfte entscheiden in so einem Boxenstopp, was sie beibehalten, was sie verbessern oder verwerfen wollen und passen ihre „Transformationsroadmap“ an. Als Beraterin treibe ich sie dazu an, mutig zu sein und sich auch in unbekannte Gefilde vorzuwagen. Wenn sie mit einem Versuch scheitern, können wir beim nächsten Boxenstopp den Kurs ganz einfach wieder korrigieren.

2. Eine Transformation ist nicht das, was man plant, sondern das, was man tut – von Conny Dethloff

Eine Transformation – also das Sich-Anpassen – ist richtig hart. Denn wenn sie einfach wären, dann würden nicht manche Unternehmen überleben und andere untergehen, weil sie sich nicht an den Markt anpassen können. Was nicht hilft, sind die vielen Versprechungen, die auch von Beratungsunternehmen oder Agile Coaches gemacht werden: „Wir haben ein Framework für euch und wenn das erst einmal ausgerollt ist, könnt ihr super danach arbeiten!“ Transformation ist ein Prozess. Die Botschaft von uns Berater:innen und Agile Coaches sollte daher sein:

„Wir sind hier, damit ihr eine Fähigkeit erlangt, die ihr bisher nicht gebraucht habt: euch immer wieder in der Art und Weise zu hinterfragen, wie ihr zusammenarbeitet. Bisher habt ihr das nicht gebraucht, weil der Markt es nicht bestraft hat, dass ihr diese Fähigkeit nicht hattet. Aber jetzt bestraft der Markt es, weil er komplexer geworden ist.“

Wenn man mit so einem Blick in die Transformation hineingeht, wird man auch nicht so schnell enttäuscht, wenn nach einem Jahr das erwartete Ergebnis vielleicht noch nicht da ist. Eine Führungskraft eines Unternehmens, das sich bereits seit zehn Jahren in der agilen Transformation befindet, hat es so formuliert:

„Wir haben uns am Anfang viel zu sehr damit beschäftigt, zu eruieren, was uns die Transformation bringen wird. Diese Zeit, die wir etwa in Business-Case-Berechnungen investiert haben, wären in einer wirklichen Transformation besser angelegt gewesen. Denn am Ende des Tages zeigen die Zahlen in unseren Büchern, ob wir erfolgreich waren oder nicht.“

Deshalb sollte die Devise lauten: Nachdenken ist gut, aber wichtiger ist, ins Handeln zu kommen. Natürlich brauchen wir Ambitionen, wie Christoph und Ssonja im Podcast richtig sagen, sonst würden wir ja gar keinen Grund haben, zu transformieren. Aber nur durchs Handeln können wir gemeinsam Erfahrungen machen und lernen. Dann erkennen alle, dass eine Transformation niemals endet. Erwarte kein Ergebnis, sondern einen Prozess. Dann brauchst du dich vor keiner Ernüchterung oder Krise zu fürchten. Denn was eine Krise ist, definieren wir ja selbst über unsere Erwartungen.

3. Transformieren ist teuer – von Christoph Schmiedinger

Ich habe bei Transformationen mitgearbeitet, bei denen zu Spitzenzeiten 30 bis 40 Personen in Vollzeit nur mit der Transformation beschäftigt waren. Und ich habe auch andere Beispiele gesehen, bei denen es mühselig war, überhaupt ein Transformationsteam aufzubauen, weil alle nur einen Tag pro Woche Zeit hatten. Auch Schulungen, um Mitarbeiter:innen und Agile Coaches auszubilden und auf dem Weg zu unterstützen, kosten. Schon allein die Frage, wie viele Ressourcen man der Transformation zugesteht, macht einen großen Unterschied im Ergebnis: Während die einen innerhalb von zwei Jahren einen Großteil ihres Unternehmens reorganisieren (und die Früchte ernten), mühen sich andere immer noch ab.

Ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt: Wenn die Entscheidungsträger:innen der Transformation ausreichend Ressourcen widmen, dann zeigen sie: „Diese Initiative ist nicht eine von vielen, sie ist die entscheidende und wir sind entschlossen, sie zum Erfolg zu führen.“ Eine sparsame Transformation kommt einer unentschlossenen gleich. Das soll nicht heißen, dass Transformationen verschwenderisch sein müssen. Aber Großzügigkeit ist wichtig. Sie ermöglicht Weiterentwicklung und Experimente. Dabei geht es nicht nur um Großzügigkeit bei finanziellen Ressourcen, sondern auch bei Fehlertoleranz und nicht zuletzt bei der Unterstützung durch die Entscheidungsträger:innen. Durch ihre Aufmerksamkeit und Fürsprache signalisieren sie: „Wir unterstützen die Arbeit des Transformationsteams und wir haben hohe Erwartungen. Dafür nehmen wir sogar Rückschläge in Kauf.“

Dass es Rückschläge geben wird, kann ich euch versprechen. Was ich aber seit einiger Zeit feststelle, ist, dass Transformationen nach zwei bis fünf Jahren regelrecht ins Stocken geraten. (Deswegen haben wir diesem Phänomen ein eigenes Kapitel in unserem Buch „Agile Transformation – Der Praxisguide zum Change abseits des Happy Path“ gewidmet.) Darum heißt es, dranbleiben: Wenn ihr einen Berg besteigen wollt, dann geht es nicht immer nur steil bergauf. Manchmal ist es sicherer und schneller, wieder bergab zu klettern oder nach einem neuen Weg suchen. Im Buch verwenden wir dafür den folgenden Sketch.

Dieser Sketch schaut auf einen Blick ganz schön komplex aus – ist er auch. Deshalb ist es mir wichtig, dass wir uns in einer Transformation immer auf den Abschnitt konzentrieren, in dem wir uns gerade befinden, und uns nicht überwältigen lassen. Aber wenn wir es wollen oder brauchen, zoomen wir einfach hinaus und schauen uns an, wo wir uns auf der „Gesamtstrecke“ bis zur Spitze befinden, wie viel wir schon geschafft haben und ob der Weg noch für uns passt. Wenn ihr euch für die Bergmetapher im Detail interessiert, dann empfehle ich euch diesen Beitrag oder unser Buch „Agile Transformation“. Hier könnt ihr das erste Kapitel online lesen.

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Titelbild: Alex Radelich, Unsplash

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Christoph Schmiedinger
August 18, 2022

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